Köln ist mal wieder spät dran. Hätte vor lauter Klüngel beinahe die Bewegung verpasst und war sich mit seiner merkwürdigen Kölsch-Szene selbst genug. Aber irgendwann haben es wohl auch die Ur-Kölner mal gemerkt, dass man neben dem immer gleichen (immer gleich langweiligen?) Kölsch auch mal andere Biere trinken und dabei trotzdem nette Menschen treffen kann. Und dass diese „anderen Biere“ und „nette Menschen“ nicht gleich Altbier und Düsseldorfer bedeuten muss…
Besser spät als nie, also hören wir mal auf zu lästern und schauen etwas genauer hin.
Etwas andere Biere gibt es in Köln schon länger, und zwar in der Braustelle in Ehrenfeld, wo Peter Esser schon seit vielen Jahren sehr kreativ neue Rezepte ausprobiert, bei denen die bewussten Verstöße gegen das Reinheitsgebot durch Zugabe von Hibiskus, Pfeffer oder Orangenschalen noch das geringste Übel sind und die eigentliche Provokation darin liegt, dass es die Braustelle wagt, mitten in Köln ein Altbier zu brauen…
Bei allem Bekanntheitsgrad in der Szene ist die Braustelle aber immer Underdog geblieben, und während im Rest der Republik dann so langsam die Craftbier-Bewegung ihren Lauf nahm, wurschtelte Köln mit seinen sogenannten Brauhäusern, die alles tun, aber nicht brauen, bauchnabelschauend vor sich hin.
Mittlerweile ist es aber besser geworden. Seit 2015 gibt es das Craftbier-Lädchen Hopfenrausch, betrieben von Peter Essers Schwester Sabina, und seit Oktober 2016 auch mitten in der Altstadt, direkt neben dem Gürzenich, die craftbeer corner coeln, eine urige Bierbar mit fünfzehn Zapfhähnen und einem Bierangebot, das in der Region seinesgleichen sucht.
Es ist kalt und trübe, ein typischer Dezemberabend. An der Hauswand hängen ein paar Bretter und tragen den Schriftzug craftbeer corner coeln, vor dem Eingang steht eine schwarze Tafel und wirbt mit fünfzehn Fassbieren und der Möglichkeit, sich in einem Pro-Bier-Set fünf davon zusammenzustellen, und irgendein Witzbold hat eine 0,5-l-Flasche eines beliebigen Industriebiers neben den Eingang gestellt.
Drinnen empfängt uns eine freundliche und urige Atmosphäre. Es ist nicht zu voll, so dass wir sofort einen Platz finden, aber auch nicht so leer, dass wir uns verloren vorkommen würden. Die fünfzehn stählernen Zapfsäulen ziehen sich in einer langen Reihe die Theke entlang, und dahinter hängen – wie sich das gehört – die schwarzen Bretter, die das aktuelle Angebot verkünden.
Das Angebot ist breit gefächert – vom mittlerweile ja als völlig normal geltenden India Pale Ale bis hin zu schweren, malzigen, fast öligen Gewürzbieren mit rund 10% Alkoholgehalt. Da sollte jeder etwas für seinen Geschmack finden können, wenn er sich, wie es in englischen Pubs auch üblich ist, brav an der Theke anstellt und dort seine Order platziert.
Jeder? Wirklich jeder?
Was ist denn dann mit dem eingangs schon erwähnten Ur-Kölner, für den es ja schon ein abenteuerliches Biererlebnis ist, wenn er sein geliebtes Gaffel-, Früh- oder Sion-Kölsch mal in einer anderen als seiner Stamm-Eckkneipe zu sich nehmen muss?
Auch auf ihn ist man hier eingestellt. Bier Nummer 1 ist das Veedels Wieß. Eigentlich ja ein Bier nach kölscher Brauart, das aber aus mehrerlei Gründen nicht Kölsch heißen darf. Zum einen wird es nicht gefiltert, sondern ist natürlich trüb. Ein Wieß also. Und zum anderen – Revolution! – wird es nicht in Köln gebraut, sondern ein paar Dutzend Kilometer entfernt bei der Brauerei Vormann in Hagen-Dahl. Kein Kölsch also – da sei die Kölsch-Konvention davor, die in ihrer Sinnhaftigkeit gleich hinter dem sogenannten „Reinheitsgebot“ kommt! Aber ein leichtes und süffiges Bier, mild, mit feinem Aroma. Behutsam wird der Kölsch-Trinker abgeholt, an die Hand genommen und sachte einen winzigen Schritt aus seiner Filterblase herausgeholt. Schau Dich mal vorsichtig um, und wenn Du einen Schrecken kriegst, dann gehst Du halt wieder zurück ins „Jecke Eck“ oder zur „Heißen Trude“ und trinkst da Dein Allerweltskölsch weiter. Und wenn’s Dir wider Erwarten doch gefällt, dann trinkst Du jetzt ein paar Wieß, und morgen, wenn Du wiederkommst, machen wir den nächsten kleinen Schritt.
Ich mache aber gleich den großen Schritt. Ich darf das, ich bin kein Kölsch-Fan. Der Julia-Bock von Coltro-Gold lacht mich an. Coltro-Gold, eine winzige Vater-und-Sohn-Brauerei in Hürth; Julia-Bock, ein malziges, kupferfarbenes und kräftiges Bockbier mit 7,0% Alkohol. Vollmundig und süffig, keine schlechte Wahl bei dem kalten Nieselwetter. Und eine hervorragende Alternative zu den klebrigen Kopfschmerzbomben, die auf dem Weihnachtsmarkt nebenan unter der Bezeichnung „Glühwein“ angeboten werden und eigentlich doch nur der biologisch-umweltfreundlichen Verklappung von überlagerten Gewürzen und schalen Alkoholresten dienen.
Von den freundlichen Jungs hinter der Theke kommt keine wie auch immer geartete Kommentierung meiner Auswahl, also scheint sie in Ordnung zu sein.
Mit dem Glas in der Hand sehe ich mich noch ein wenig um. Es ist gemütlich. Viele Ziegel, viel Holz, die Decke mit weißen Balken strukturiert. Neben der Bar sind in die Mauer zahlreiche kleine Nischen eingelassen, in jeder steht stolz eine Flasche mit einem speziellen Bier. Flaschenbier Specials steht darüber, und kleine um den Hals der Flaschen gehängte Zettel informieren über Inhalt und Preis. Sehr schön. Wer als Stammgast nach drei Tagen das Sortiment von fünfzehn Fassbieren durch hat und dann ungeduldig wartet, bis die Fässer nach und nach durchwechseln, kann seine Ungeduld mit ‘zig Flaschenbieren bekämpfen. Sehr schön!
Nach und nach füllt sich die Bar. Erneut stelle ich mich an der Theke an und hole mir ein Bier – diesmal das Süffige Sünde, ein Kölnisch Knupp aus der Brauerei Heinenhof. 6,5% Alkohol, tiefschwarze Farbe. Ein schweres, aromatisches Bier mit Kaffee-, Röst- und Malzaromen, das ein bisschen an ein Baltisches Porter erinnert. Ein Bier, das in den vergangenen Jahrhunderten in Köln verboten war – vermutlich, weil es deutlich besser geschmeckt hat als die Kölner Biere… Ein schönes Winterbier, und gleichzeitig eine seltene Spezialität, denn die Brauerei Heinenhof irgendwo auf dem platten Land bei Pulheim ist so winzig, dass die craftbeer corner coeln der einzige Ausschank für dieses Bier ist.
Ziemlich voll ist es nun geworden. Stimmengewirr füllt die kleine Bar. Für einen Moment setze ich mich noch an meinen Platz, genieße die Atmosphäre, das unkomplizierte Miteinander über alle Generationen hinweg. Erstaunlich, dass doch einige auch lebensältere Gäste hier sind, und genauso erstaunlich eigentlich auch, dass der Anteil an weiblichen Gästen hier sehr hoch ist. Leider ist Letzteres immer noch bemerkenswert, denn gerade in den Hardcore-Craftbier-Bars herrscht oft testosterongeschwängerter Männerüberschuss. Aber hier passt es.
Liegt es an der wirklich schön entspannten Atmosphäre? An der zentralen Lage? An den kleinen Aufmerksamkeiten wie zum Beispiel dem Wasser, das hier automatisch (und gratis!) an den Tischen serviert wird und so die schweren und manchmal recht klebrigen Spezialbiere begleitet?
Egal. Wichtig ist: Hier lässt es sich gut einkehren. Die Bierauswahl ist gut, man fühlt sich auf Anhieb wohl, man findet rasch Kontakt, und – aber das ist angesichts des schlechten Wetters heute nur eine Second-Hand-Information – man kann im Sommer bei gutem Wetter auch auf der Dachterrasse sitzen und sein Kreativbier mit Blick über die Kölner Altstadt (und auf den Dom!) genießen.
Die craftbeer corner coeln ist täglich ab 18:00 Uhr geöffnet; freitags und sonnabends schon ab 17:00 Uhr. Sonntags ist Ruhetag. Zu erreichen ist sie am einfachsten über den Heumarkt, wo U-Bahn (Linie 5), Straßenbahn (Linien 1, 7 und 9) und jede Menge Busse halten. Von dort sind es durch die Martinstraße gerade einmal zwei Minuten zu Fuß.
craftbeer corner coeln GmbH
Martinstraße 32
50 667 Köln
Nordrhein-Westfalen
Deutschland
„den klebrigen Kopfschmerzbomben, die auf dem Weihnachtsmarkt nebenan unter der Bezeichnung „Glühwein“ angeboten werden“ – schitterend!
Haha, danke, Jan!