Mallorca möchte seine Kampftrinkerszene loswerden. Naja, wenigstens ein bisschen reduzieren und die größten Exzesse vermeiden, denn so ganz möchte man auf die Einnahmen des Ballermann-Tourismus nicht verzichten. So verschärft man halt die Auflagen ein wenig und schaut, was passiert. In der Folge wandert der eine oder andere Star der Ballermann-Szene ab. Ikke Hüftgold zieht seine Schau nicht mehr auf Mallorca, sondern in Bulgarien am Schwarzmeerstrand ab. Gröhl! Und dazu fließt das Billigbier aus den Industriebrauereien des Balkan in Strömen. Gibt ja eh nichts anderes. Rülps! Genug gesagt.
In Bulgarien gibt es nichts anderes? Oh, das ändert sich langsam. Auf dem Lande, in der Provinz entstehen kleine und experimentelle Brauereien wie Rhombus in Pazardzhik / Пазарджик, solide, regionale Handwerksbrauereien wie Hills in Perushtitsa / Перущица oder klassische Gasthausbrauereien wie die Biraria Jägerhof in Plovdiv / Пловдив.
Und in der Hauptstadt? Mit Schließung der Brauerei Prošek im Jahr 2004 verschwand die letzte Brauerei aus der Stadt. Sofia als Bier-Destination? Gestorben!
Doch mit der Craftbier-Revolution wacht auch Sofia langsam wieder auf. Die allerersten Kleinbrauereien entstehen am Stadtrand. Noch hat sich keine ins Zentrum getraut, aber am Stadtrand, in den Satellitenstädten und Wohnsiedlungen beginnen die ersten jungen Brauer, ihre Träume vorsichtig zu verwirklichen. Verfolgt Luc’s Beerhouse in Studentski Grad, der Studentenstadt, noch den konservativen Ansatz einer Gasthausbrauerei, die nicht nur auf ihr Bier, sondern auch und besonders auf deftige, fette, leckere, aber ungesunde Küche setzt, so zeigt sich die Craft Brewery Blek Pine im Stadtteil Gorna Banja progressiv. Bunte Etiketten, wilde Biere und eine kleine, junge Clique von echten Bierfreaks. Aber halt noch allein auf weiter Flur.
Gibt es denn gar kein ordentliches Bier im Stadtzentrum? Ach, doch, na klar, aber eben keine Brauerei.
Was wollen wir zuerst machen? Trinken oder Einkaufen? Oder beides? Erst einkaufen und den Rucksack füllen? Okay, dann starten wir in einer der kleinen Buden namens Beer Shop. An verschiedenen Orten in der Stadt, beispielsweise im großen und modernen Einkaufszentrum The Mall, findet man den Beer Shop В Света на Бирата – In der Welt des Biers. Unscheinbar und bescheiden von außen, kaum mehr als ein kleiner Glühweinstand, und doch finden sich hier spannende Kreativbiere aus Bulgarien und der ganzen Welt, vorzugsweise aus Belgien, Großbritannien und Deutschland.
Wer es etwas gediegener haben und ziemlich sicher gehen möchte, dass er kein Craftbier aus Bulgarien oder den Nachbarländern verpasst, geht hingegen in das 100 Beers, einen Shop, der aus seinem Namen längst herausgewachsen ist: 100 Biere – das mag 2013 bei der Eröffnung gegolten haben, mittlerweile ist das Angebot aber viel größer, kratzt schon an der 400er Marke. Biere aus aller Welt, aber auch tolle Biere aus Bulgarien, Rumänien und Serbien – aus Ländern also, wo man gar nicht vermuten würde, dass es dort tolle Biere gibt. Gibt es aber!!! (Und diese Feststellung hat drei Ausrufezeichen verdient.)
Wenn der Rucksack voll ist, dann geht es ans Trinken. Vitamin B heißt die erste Adresse der Stadt. B für Bier, natürlich. Sofia’s Liquid Breakfast steht unter dem Namen der Bar, und Rostislav Bakalov bietet hier zwar „nur“ sechs ständig rotierende Hähne, daneben aber ‘zig, nein, hunderte von ebenfalls häufig wechselnden Flaschen. Wo er die nur herbekommt? Die Lösung ist einfach – Rostislav ist auch der Eigner des 100 Beers. Da ist der Nachschub gesichert. Die Atmosphäre ist entspannt, die coole Bar so gestylt, dass man sie auch in Wien, Madrid oder Berlin finden könnte, und natürlich fehlen auch die Hipster nicht.
Wer’s lieber etwas schummriger haben möchte, geht ein paar Minuten zu Fuß und erreicht den Kanaal. Klingt nach holländischer Gracht, und das ist Absicht. Liubomir Chonos, der Betreiber der Bar Kanaal, hat ein Faible für die Niederlande, und da die Bar an einem kleinen Flüsschen liegt, an Sofias einziger „Gracht“, war der Name klar. Auch die rotlichtig-schwüle Beleuchtung und die Einrichtung im Stil eines niederländischen Bruin Café passt. Das Bierangebot ist global. Zwölf Hähne und ein Flaschenangebot, das die großen Namen der Welt, aber auch echte Raritäten beinhaltet.
Der Überblick über die Bierszene Sofias wäre allerdings nicht komplett, ohne das Konzept des Живо Пиво, des lebendigen Biers zu erwähnen. Das Bier wird gebraut, die Hauptgärung abgewartet, und dann kommt es in Ausschanktanks. Dort findet die Nachgärung statt, und zwar bereits beim Kunden, also der Bar oder dem Bottle Shop. Aus dem Tank heraus wird das frische Bier in Ein-, Zwei- oder Drei-Liter-PET-Flaschen gefüllt, heimgenommen und sofort getrunken. Ein Konzept, dass dem englischen Real Ale nicht unähnlich ist. Aber ganz ehrlich: So richtig überzeugt die Qualität nicht. Man erhält meistens nur ein Bier zum schnellen und gedankenlosen Weg-Exen. Aber immerhin: Eine sehr Bulgarien-spezifische Idee.
Sofia also. Eine der Hauptstädte Europas, in der man gar keine nennenswerte Bierszene erwartet. Aber wie so oft: Die Vorurteile liegen völlig daneben, man muss nur wissen, wo man zu suchen anfängt.
Interessante Adressen in Sofia:
100 Beers Sofia, 1 Yuri Venelin / Юрий Венелин 1
Beer Box Grill & Beer, 38 Alexander Malinov Blvd / бул Александър Малинов 38
Beer Shop „В Света на Бирата“, 115 Zarigradsko Shose Blvd. / бул. Цариградско шосе 115
Blek Pine, 15 Ural / Урал 15
Kanaal, 2 bulevard Madrid / бул. Мадрид 2
Luc’s Beerhouse, 34 Studentski Grad / Студентски град 34
Vitamin B, 24 Vrabcha / Врабча 24
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