Cyber Tasting – Internationale Bierstile
Freiburg
DEU

Etwas über ein halbes Jahr ist seit dem letzten Cyber Tasting vergangen, an dem wir hatten teilnehmen können. Der Sommer hatte uns weitgehend von Corona-Einschränkungen verschont. Sogar der eine oder andere Brauerei- und Biergartenbesuch war möglich gewesen und selbst eine Bierverkostung vor Ort in Andrea Seegers Craftbeer Lodge bis tief in die Nacht.

Jetzt aber, im November 2020, ist wieder alles zu. Einkaufen nur noch zielgerichtet, kein stundenlanges Klönen und Fachsimpeln, kein gemeinsames Verkosten, und so verlegen sich viele Aktivitäten wieder ins Internet. Ein erneutes Cyber Tasting also.

Cyber Tasting mit Andrea Seeger

Gleich vier Mal habe ich diesmal das Verkostungsset bestellen müssen, oder besser dürfen. Gleich zwei Arbeitskollegen möchten ebenfalls daran teilnehmen, und ein Kollege eines Kollegen auch. Muss wohl beim letzten Mal nicht schlecht gewesen sein …

ein vierfaches Verkostungsset

Ohne technische Schwierigkeiten – die Menschen haben mittlerweile Erfahrung und Routine mit Videokonferenzen – startet die Session pünktlich um halb acht. Andrea Seeger und neun weitere Fensterchen erscheinen auf dem Bildschirm. Die Verkostungsgläser stehen bereit, das Bier ist in Reichweite, etwas Weißbrot und milder Käse dazu und für alle Fälle, zum Klarspülen, reichlich stilles Wasser.

In einer kurzen Runde, einmal quer durch Deutschland und die Schweiz, stellen sich die Teilnehmer vor, und dann geht es auch schon mit der Verkostung los. „Hab‘ ich Euch eigentlich geschrieben gehabt, dass wir für das erste Bier auch Sektgläser brauchen?“, fragt Andrea. Hatte sie nicht, und Augenblicke später sieht man nur noch leere Stühle, Sofas und Sessel. Europaweit sucht man nach Sektgläsern.

Was fehlt? Die Sektgläser!

Offensichtlich aber mit Erfolg, und nun geht es wirklich mit dem ersten Bier los, einem Kriek aus der belgischen Brauerei Boon. Ein Lambik ist es, aber ein sorgfältig geblendetes und verfeinertes. Eichenfassgereiftes altes Lambik wird mit jungem Lambik verschnitten. Nach sechs Monaten reife werden 250 g Sauerkirschen pro Liter hinzugegeben und nachvergoren, und schließlich wird das Bier gefiltert und auf Flaschen gezogen. Ein aufwändiger Prozess, dessen Resultat wir nun rot leuchtend in unseren Gläsern sehen. „Sieht aus wie Himbeerlimonade“, heißt es. Kräftig rot, klar, kaum Schaum, aber spritzig und sprudelig. In der Nase spüren wir intensive Kirscharomen, aber auch einen Hauch von Marzipan, der darauf hinweist, dass dieses Bier mit ganzen Kirschen und nicht nur mit Saft versetzt worden ist – die Marzipannoten stammen nämlich von den Kirschkernen. Der Antrunk ist spritzig, eine deutliche Süße ist noch zu spüren, aber nicht so viel, dass es klebrig würde. Auf der Zunge machen sich die Kirscharomen breit, begleitet von einer kräftigen, aber weichen Säure. Der Schluck ist erfrischen, und retronasal spüren wir erneut die intensiven Fruchtaromen und den Marzipanhauch. Ein feiner und gefälliger Auftakt für den heutigen Abend, und mit 4,0% erstaunlich leicht.

Kriek Boon

Andrea leitet über zum zweiten Bier, dem 4,9%igen Trumer Pils, aus der Trumer Privatbrauerei in der Nähe von Salzburg. Beim Auspacken des Bierpakets hatte ich ein bisschen kritisch auf diese Flasche geschaut, ist es doch ein Pils, das in Österreich recht weit verbreitet und überall problemlos zu bekommen ist. „Irgendwie nix Besonderes, oder?“, war mein erster Gedanke. Jetzt aber werde ich eines Besseren belehrt. Es ist viel zu lange her, dass ich dieses Bier getrunken habe, und ich stelle fest: Für ein Pils setzt es durchaus Maßstäbe. Goldgelb steht es im Glas, gekrönt von feinem, weißem Schaum. Der Duft ist zwar nur dezent, aber sehr ausgewogen. Feine, ganz leicht blumige Hopfennoten, ganz im Hintergrund etwas Nussiges. Dann der Antrunk: Sehr trocken und schlank, dabei aber zart und fein bleibend, schön ausbalanciert. Im Schluck kommt die Hopfenherbe dann zum ersten Mal zur Geltung, aber die durchaus respektablen Bitterwerte bleiben weich und sauber, hängen nicht nach, sondern klingen langsam und gleichmäßig ab. Ein außergewöhnlich ausgewogenes Bier, muss ich zugeben, und ich leiste Abbitte ob meiner Gedanken beim Auspacken.

Trumer Pils

„Schaut Euch mal den Kronkorken an“, fordert Andrea uns auf, und wir betrachten die Dichtung. „Slow Brewing – Zertifizierte Spitzenqualität“ steht dort, und Andrea erläutert uns das Konzept, das hinter Slow Brewing steht. Viel Zeit für Sorgfalt in der Produktion, ebenso viel Zeit für die Reifung des Biers. Dazu Wertschätzung nicht nur im Umgang mit den Rohstoffen, sondern auch mit den Mitarbeitern und allen am Produktionsprozess Beteiligten. Ein umfassendes ethisches Qualitätskonzept steckt hinter diesem simplen Slogan.

Nach Island führt uns das nächste Bier. Es stammt aus der Brauerei Einstök Ölgerð in Akureyri. Icelandic White Ale nennt es sich, hat 5,6% Alkohol und ist ein Bier, das mit etwas Hafer gebraut wird, um ihm ein seidiges Mundgefühl zu geben. Zusätzlich werden Orangenschalen und Koriander hinzugegeben. Ganz hellgelb ist es, mit feinem, weißem Schaum. Der Geruch ist fruchtig, zitronig, manche empfinden es als ein bisschen künstlich. Im Mund ist es erfrischend, aber die Fruchtnoten machen es auch gewöhnungsbedürftig. Insbesondere die Koriandersamen sind nicht jedermanns Sache – fast schon ein bisschen seifig finden es einige. Da hilft es dann auch nicht, dass der Abgang sauber und erfrischend ist – die Reaktionen sind geteilt. Rund die Hälfte der Verkostungsteilnehmer liebt es, die andere Hälfte ist nicht wirklich zufrieden. Ein polarisierendes Bier.

Einstök Ölgerð Icelandic White Ale

Gut so, denn sonst hätten wir ja nichts zu diskutieren. Andrea ist in ihrem Element, holt weit aus, referiert umfangreich, überschüttet uns geradezu mit Informationen, und selbst ohne Verkostung wäre dieses Seminar allein deswegen schon lohnenswert.

Aber zurück zum Bier!

Von der fernen Nordatlantikinsel Island geht es zurück in Andreas Heimat Freiburg. Das Braukollektiv Freiburg hat das nächste Bier gebraut: Jacques. Alle Biere des Kollektivs sind nach Tieren benannt, beginnend mit Dolly, dem Klon-Schaf, über die Bären Horst und Doris bis zu Laird, dem Hai. Ziggy, das Chamäleon, steht für ein Bier, das mit immer wieder neuen Hopfensorten gebraut wird und dadurch seinen Charakter wechselt wie das Chamäleon seine Farbe. Und Jacques? Jacques ist ein Seepferdchen und steht für das West Coast IPA dieser Brauerei.

7,9% Alkohol hat das Bier, ist schön bernsteinfarben und gleichmäßig trüb, hat eine feine, weiße Schaumkrone und verbreitet schon beim Einschenken einen intensiven, herben und fruchtigen Hopfenduft. Der Antrunk ist dann stilgerecht, wie es sich für ein West Coast IPA gehört: Hopfenherbe direkt auf die Zunge und an den Gaumen. Knackig, kernig, robust. Darüberliegende Fruchtnoten, nur leicht ausbalanciert durch den Malzkörper. Ein durchaus gewollt kantiges Bier, das selbstbewusste Akzente setzt. Innerhalb der mittlerweile großen IPA-Familie wohl eher zu den aggressiver gehopften Bieren gehörend.

Braukollektiv Freiburg – Jacques West Coast IPA

Wie groß die IPA-Familie ist, mit klassisch englischem IPA, den amerikanischen Abwandlungen, dem West Coast IPA, dem New England IPA, dem Brut IPA, Black IPA, White IPA und vielen mehr, davon weiß Andrea viel zu erzählen und nimmt uns in atemraubender Geschwindigkeit mit auf einen erzählerischen Exkurs zu all diesen India Pale Ales.

Die Zeit verfliegt rasch, und wir sind bereits beim letzten Bier angelangt, dem Porter aus der Schlossbrauerei Autenried in der Nähe von Ulm. 6,8% Alkohol hat es, eine tiefschwarze Farbe und nur sehr wenig Schaum, der – ungewöhnlich für diesen Stil – auch schnell zusammenfällt. Der Geruch ist röstig, wir riechen Kaffee, Mokka, bittere Schokolade. Der Antrunk ist weicher als erwartet, das Bier fließt dann angenehm über die Zunge, und auch im Schluck bleiben kratzige Röstnoten aus. Stattdessen röstige Kaffee- und Schokoladenaromen und sogar eine feine Süße auf der Zungenspitze. Ein überraschend weicher und runder Vertreter dieses Bierstils.

Autenrieder – Schlossbräu Porter

Zweieinhalb Stunden haben wir uns mit den Bieren beschäftigt und wieder sehr viel über Bier und Bierstile gehört. Bevor wir uns alle ausschalten, kommt die obligatorische Frage zum Schluss: „Welches Bier fandet Ihr denn am besten?“ Gar nicht einfach zu beantworten, waren alle fünf Biere doch unterschiedlich und jeweils sehr individuell. Die meisten votieren ob seiner Ausgewogenheit für das Trumer Pils, und kaum weniger Fans finden sich für das Boon Kriek.

Ein letzter Toast in die Kamera, und dann schalten wir zu später Stunde ab. Es war eine sehr schöne Verkostung, sehr informativ moderiert von Andrea Seeger, und definitiv eine Empfehlung wert.

Bilder

Craftbeer Lodge
Oberlinden 10
79 098 Freiburg im Breisgau
Baden-Württemberg
Deutschland

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