Maibock-Anstich? Ist dieses Jahr nicht.
Maibaum stellen? Nö.
Tanz in den Mai? Auch nicht.
Es gilt höchstens „Trink in den Mai!“ statt „Tanz in den Mai!“, und auch das nur virtuell. Aber als schöne Verkostung von sieben spannenden Bieren im Kreis von netten Gästen, Freunden und Brauern, das ist besser als nichts!
Und so haben Esther Isaak de Schmidt-Bohländer, ehemalige Eignerin des Bierland Hamburg und jetzige Bierbotschafterin, Jörg Manke von der BierPost, Thorsten Schoppe von Schoppebräu, Jan Albes von der Braumanufaktur Ludwigslust und ich, also der Chronist vom Brunnenbräu ein paar Dutzend Bierliebhaber um uns geschart und uns bei Zoom zu einem wunderbaren Verkostungsabend getroffen, der für die, die daran interessiert sind, hier in Nachhinein abrufbar ist.
Esther, Jörg, Thorsten, Jan & Volker
Esther führt durch die Verkostung, gibt zunächst Thorsten Schoppe viel Zeit, sich und seine Brauerei vorzustellen, und nach ein paar kurzweiligen Minuten mit viel spannenden Geschichten stelle ich das erste Bier vor.
Erstes Bier:
Schoppebräu – Lilly Lager – Double Dry Hopped Lager (5,5%)
Die goldgelbe Farbe strahlt im Licht der kleinen LED-Leuchte, die mich vor der Computerkamera aufhellt, nur eine feine, gleichmäßige Trübung ist zu sehen. Darüber eine weiße Schaumkrone, die üppig ausfällt und lange haltbar ist. Feine Hopfenaromen tänzeln über dem Glas, ein paar Fruchtnoten, ein paar dezente heuartige Akzente. Spielerisch. Dann der Antrunk. Frisch, würzig, eine ganz dezente Malzsüße, eine erfrischende Spundung – noch nicht spritzig, nicht mehr flach. Gerade richtig. In perfekter Harmonie rinnt das Nass über Zunge und Gaumen, und nach dem Schluck bleibt eine blitzsaubere Bittere gerade so lange hängen, dass ich nicht vergesse, den nächsten Schluck zu nehmen, während bei Ausatmen noch einmal feinste Frucht- und Heunoten über den Riechkolben purzeln. Ein Bier, das mit 5,5% verhältnismäßig stark für ein Lager ausfällt, aber dennoch eine perfekte Durchtrinkbarkeit bewahrt. Ich weiß nicht, was ich mit diesem Bier lieber machen möchte: Es in winzigen Schlucken in seiner perfekten Harmonie genießen? Oder doch lieber ob seiner Durchtrinkbarkeit in ein, höchsten zwei Zügen durstig leeren? Erst letzteres, dann ersteres? Ich sollte immer genügend Flaschen von diesem Bier parat haben, so dass ich ausprobieren kann, was mehr Spaß macht!
„Ein Fünf-Sterne-Bier“, bemerke ich zum Abschluss meiner Präsentation, und Esther nimmt dies zum Anlass, mich meine Bewertungssystematik vorstellen zu lassen. Wichtig: Auf einer Skala, die von (*) bis (*****) reicht, ist (***) eine grundsolide Bewertung für ein gutes, fehlerfreies Bier ohne Höhen und Tiefen. Wir sind hier schließlich nicht beim Eiskunstlauf, wo auf der Skala von 1 bis 10 alle Wertungen zwischen 9,5 und 10,0 zu liegen scheinen.
~35 Teilnehmer, alle brav
Esther moderiert sehr strukturiert und unterhaltsam, und ich stelle fest: ~35 Teilnehmer, alle brav.
Zweites Bier:
Schoppebräu – Flower Power – Session IPA (4,7%)
Honig bis hellkupferfarben und deutlich, aber gleichmäßig trüb steht das 4,7%ige Bier im Glas, darüber eine ganz leicht gelblich schimmernde, üppige und lange haltbare Schaumschicht, die beim Trinken dicke Ränder an der Glaswand hinterlässt. Die Nase erschnuppert dezente Tropenfruchtaromen, ein bisschen Ananas, etwas Mango, vielleicht auch ein wenig dunkle Stachelbeere. Der erste Schluck ist kompakt, die Fruchtnoten bleiben erhalten und paaren sich mit einer deutlichen und festen Bittere. Der Körper nimmt sich zurück, das Bier wirkt nicht wirklich dünn, aber doch wenig vollmundig. Glatt fließt es über Zunge und Gaumen und verschwindet ohne viel Federlesens im Rachen, wo sich die Bittere noch ein wenig breit macht und die Fruchtaromen noch einmal retronasal über die Bühne tänzeln, bevor sie hinter dem Vorhang verschwinden. Ein relativ leichtes Bier, das spürt man, aber nicht im negativen Sinne.
Und ein Bier, das zu Diskussionen einlädt – auf Instagram hinterfragte ein Brite die Einstufung als Session IPA, es sei mit 4,7% Alkohol für ein Session-Bier zu stark, Session-Biere hätten eher 3,5 bis höchstens 4,0% Alkohol. Mein Gegenargument: Ein Session-Bier sollte man in großen Mengen trinken können. In richtig großen. Insofern sei in Bayern auch ein Bier mit 5,5 bis 6,0% Alkohol „easily sessionable“. Beispiel gefällig? Dann komm mal auf’s Oktoberfest!
Nach zwei Schoppebräus kommt jetzt ein Zwischenspiel der Braumanufaktur Ludwigslust, einer kleinen Brauerei, die in der Orangerie des Schlosses Ludwigslust eingerichtet worden ist. Das Schloss ist dafür bekannt, seinerzeit nicht mit edlen Hölzern und Marmor, sondern aus finanziellen Gründen aus Pappmaché, dem sogenannten Ludwigsluster Carton, errichtet worden zu sein. Aber egal ob Marmor oder Pappe – die Lage der kleinen Brauerei ist wunderschön.
Unter dem Label Lusthopfen braut Jan Albes spannende Biere, die er per Handabfüllung auf kleine 0,33-l-Stubbies zieht und dann ebenso mühevoll einzeln per Hand etikettiert.
Drittes Bier:
Braumanufaktur Ludwigslust – Lusthopfen – Grottenhexe (5,5%)
Die kräftig-rotbraune Farbe dieses Biers kommt besonders gut zur Geltung, wenn man es vorsichtig einschenkt, dekantiert, und so den Bodensatz zurück in der Flasche lässt. Dann ist es fast klar, nur ganz leicht opalisierend. Drüber steht ein leicht beigefarbener Schaum, der recht lange hält. Der Geruch ist kräftig malzig, typische Rotbieraromen gehen intensiv in die Nase, ein bisschen Melanoidin, aber leider auch etwas Buttersäure. Der Antrunk ist weich, das Mundgefühl rund und voll – so, wie es bei einem vollmundigen Bier dieses Stils sein soll. Mir persönlich wird das rasch zu aufdringlich und sättigend, aber bei einer Drittelliterflasche ist das absolut in Ordnung. Der Abgang ist glatt, die Bittere hält sich zurück, aber retronasal kommt wieder Buttersäure zum Vorschein. Ob diese eine Flasche einen Stich hat? Ich bin etwas ratlos. „Rot und ungezähmt“ steht auf dem Etikett, aber ob das so zu verstehen ist?
Etwas nachdenklich gehen wir in eine kurze Verschnaufpause. Der zweite Teil der Verkostung wird es in sich haben.
Genauso nachdenklich geht es nach der Pause aber leider auch weiter. Esther erinnert an den viel zu frühen, plötzlichen Tod von Boris Georgiev vor wenigen Wochen. Boris war ein Bier-Tausendsassa, und vor allem auch der Herausgeber des craftbeer Magazins. So traurig sein Ableben ist, Esther hat zumindest eine gute Nachricht: Das craftbeer Magazin wird weitergeführt, neuer Herausgeber wird Markus Raupach, besonders in der fränkischen Bierwelt mindestens genauso gut bekannt.
Während sich nun die Zuschauer das vierte Bier einschenken und schon mal heimlich vorkosten, stelle ich aus dem Bier-Brevier Unser täglich Bier gib uns heute den Text Ja, sind wir denn hier im Stadion? vor. Eine kleine Auflockerung und literarische Perle, die als Hörprobe auch hier bei Youtube abgerufen werden kann.
Ja, sind wir denn hier im Stadion?
Dann geht’s aber wirklich mit Trinken und Verkosten weiter. Thorsten erzählt vom Bier und von seiner kleinen Kneipe, dem Bierkombinat Kreuzberg, kurz BKK, seinem „kleinen schmuddeligen Stiefkind“, wie er es liebevoll spottend nennt, und leitet so über zum nächsten Bier.
Viertes Bier:
Schoppebräu – Darg Bogg – Gesellenstück – Doppelt gehopfter dunkler Doppelbock (7,0%)
Dieses Bier wurde vom Gesellen Christian und mit Hilfe dessen Assistenten Grzegorz, Victor und Felix gebraut – Thorsten Schoppe hat ihnen völlig freie Hand gelassen. Heraus kam ein Doppelbock mit einem hervorragenden Twist durch die spezielle Hopfung. Er hat eine rotbraune Farbe und eine deutliche Trübung, mit leichten Hefebröckchen, die im Bier umherdümpeln. Der Geruch ist kräftig malzig mit ein paar Noten würzigen Waldhonigs und einer ganz leichten kräuterigen Note im Hintergrund (Salbei? Thymian?). Der Antrunk ist weich und rund, auf der Zunge blitzt kurz eine Malzsüße auf, dann aber machen sich ganz dezente Röstaromen und ein paar hopfige, herbe Noten breit. Etwas adstringierend auf der Zunge und am Gaumen rinnt das Bier den Rachen hinunter, hinterlässt eine feine Bittere und erfreut retronasal mit leicht heuartigen und schokoladigen Noten. Im Vergleich zum frischen Darg Bogg vor einigen Monaten sind die etwas grünen und heuartigen Hopfenaromen in den Hintergrund getreten, machen sich höchstens noch ganz im Hintergrund retronasal bemerkbar. Die Komplexität hat nachgelassen, das Bier ist runder und voller geworden. Anders, aber definitiv nicht schlechter.
Thorsten erzählt dazu, wie er die spannenden Biere für sein Corona-Abo plant, welche Ideen er dazu hat, wie er sie verwirklicht, und dass die Idee, den jungen Nachwuchs mal von der Leine zu lassen, eine ganz großartige gewesen sei.
Ganz toll ist dann auch das nächste Bier, das meine holde Ehefrau und ich ganz bewusst in Sektgläser einschenken, um es noch besser genießen zu können.
Fünftes Bier:
Schoppebräu – Brut x Ale² – Extra Brut – Schampus der Straße – Starkbier mit Champagner-Hefe (8,0%)
Es ist die zweite, verbesserte Version der Idee eines Brut x Ale, also eines trocken vergorenen Biers. Noch stärker, noch trockener, dabei aber immer noch fruchtig und süßlich-spielerisch wirkend. In leuchtendem Orange fließt das Bier in das standesgemäß verwendete elegante Sektglas – Straßenschampus goes Haute Volée. Der schneeweiße Schaum steht kremig und fest in einer dünnen, aber lange haltbaren Schicht darüber. Feine weinige Aromen umschmeicheln die Nase, wirken etwas intensiver als bei der ersten Version. Komplex fruchtig und elegant fließt es über die Zunge, zeigt aber nahezu keine Restsüße. Dabei ist es wegen der Fruchtaromen aber nicht furztrocken, sondern bleibt spielerisch-schlank. Leichte Aprikosennoten, ein bisschen Renekloden und vielleicht einen Hauch Stachelbeere meine ich, retronasal direkt nach dem Schluck identifizieren zu können, während gleichzeitig eine feine Bittere am Gaumen um meine Aufmerksamkeit ringt. Langsam klingen die Eindrücke ab und hinterlassen mich tief beeindruckt. Ein wunderbares Bier. Für besondere Anlässe!
Thorsten erzählt, wie er dieses Bier mit zwei verschiedenen Hefen so weit vergären lässt, bis keine nachweisbare Restsüße mehr vorhanden ist – die Spindel tauche beim Messen des Vergärungsgrads bis über die Nulllinie ein, was eigentlich einem negativen Restextrakt entsprechen würde. Ein bisschen Diskussion kommt auf, wie man ein Bier so weit runter vergären kann, welche Rolle die verschiedenen Enzyme dabei spielen, und wie gut das Ergebnis dann auch bei Menschen ankommt, die sonst eher Wein oder Sekt trinken. Spannend.
Und obwohl dieses Bier ein einmaliger Sud sein sollte, der nur im Rahmen des Corona-Rettungsabonnements verkauft worden ist (pünktlich zu Silvester), so hat sich Thorsten aufgrund der umfassend positiven Rückkopplungen entschieden, es in sein Standard-Sortiment aufzunehmen. Stummer Beifall von allen Zuschauern. Die Mikrophone sind ausgeschaltet, aber man sieht sie heftig nicken und die Daumen nach oben recken.
Zum nächsten Bier, dem Holy Shit Ale, erzählt Thorsten die Entstehungsgeschichte. Ein Weihnachtsbier hatte es sein sollen, vor vielen, vielen Jahren. Deswegen Holy. Und es war ein Shit Ale als Basisbier – und schon war der Name geboren. Mittlerweile ist es aber wohl eher so, dass die Biergenießer vorsichtig einen Schluck nehmen und sagen „Holy Shit! Heilige Scheiße, was für ein Bier!“ Ein Bier, das anstrengt und das Thorsten, wie er zugibt, nicht so oft trinkt. „Es sei denn, es muss mal schnell gehen …“
Durch diese Geschichte neugierig gemacht, verkosten wir nun also den nächsten Trunk.
Sechstes Bier:
Schoppebräu – Holy Shit Ale – Double IPA (10,0%)
Auch wenn die Konzentration so langsam nachlässt, ein bisschen systematisch darf die Verkostung nach wie vor sein. Eine schöne, orange leuchtende Farbe, eine leichte Trübe, und ein intensiver Duft kennzeichnen das Bier. Der Duft ist nicht tropisch-fruchtig, wie bei den typischen US-amerikanischen IPA Interpretationen, sondern er ist harzig, würzig, kräuterig. Ich rieche Terpene wie von Fichtennadeln, ich rieche Waldkräuter, ich rieche raue Harze. Dann der erste Schluck: Ein gewaltiger Malzkörper, vollmundig und süß, und er wäre kaum auszuhalten, käme nicht auch sofort schon eine ebenso gewaltige, nur ein wenig mit Verzögerung zündende Hopfenbittere hinzu. Beide gemeinsam bringen die Wucht dieses Biers in Balance, und über den viskosen und kernigen Abgang hinweg spüre ich dieses edle, aber fordernde Gleichgewicht. Ein Bier, um den Abend zu beschließen. Ein wuchtiger Schlusspunkt.
Denn wir aber gar nicht setzen wollen, denn wir haben ja noch ein siebtes Bier in Petto, das wir verkosten, nachdem wir eine Weile über die möglichst ökologische Nutzung des bei solchen Bieren in rauen Mengen anfallenden Trebers diskutiert haben. „Black Flag“ heißt es, und der Name wurde geboren, als Thorsten auf der Suche nach einer zündenden Idee durch die Wohnung lief, das Zimmer seines Sohns betrat und dort eine große Piratenflagge an der Wand hängen sah. Black Flag, also. Und der Beweis: Bier braucht Geschichten, dann schmeckt es noch mal so gut!
Siebtes Bier:
Schoppebräu – Black Flag – Imperial Stout (9,0%)
Ein richtig intensives Bier. Ein Imperial Stout mit 9,0% Alkohol. Fast schon viskos fließt es in das Glas, bildet eine sehr kremige Schicht beigefarbenen Schaums aus, der allerdings rasch wieder spurlos verschwindet, und schmeichelt der Nase mit schönen Mokka-Aromen und einer ausgeprägten kaffeeigen Säure. Der Antrunk ist weich, auf der Zunge macht sich die Säure neben Mokka- und Röstaromen breit und im Abgang spüre ich eine feine Bittere, die sicher nicht nur von den beiden eher milden Hopfensorten kommt (Perle und Spalter Select), sondern eher vom Röstmalz stammt. Ein bisschen Roggenmalz sorgt für einen runden, vollen und sehr nahrhaft wirkenden Gesamteindruck. Ein bisschen sind wir mit uns selbst unzufrieden, denn nach dem Holy Shit Ale harmoniert die Säure dieses Biers nicht. Direkt nach dem Brut x Ale² mit seinen Fruchtnoten hätte die Säure besser gepasst und hätte dann auch deutlich eleganter zum harzigen Holy Shit Ale hingeleitet, anstatt dieses nur in umgekehrter Reihenfolge zu sehr zu kontrastieren.
Auch dieses Bier ist Bestandteil des Schoppebräu Standardsortiments, aber von Standard kann man angesichts des wunderbaren Geschmacks und der Alkoholstärke eigentlich nicht sprechen. Vorzüglich!
Zum Stacheln eignet es sich aber nicht, stellen wir fest. Ein Zuschauerpärchen hat’s ausprobiert, aber es ist zu wenig Restsüße im Bier, um den schönen karamellisierenden Effekt des Stachelns zu erzielen. Da ist ein runder, malziger Doppelbock dann doch besser geeignet.
Von Hölzchen auf Stöckchen gehen die Gespräche zum Ende der Verkostung nun. Ob es Reisepläne ins Allgäu sind oder der geniale Toilettenfußboden im Bierladen von Ulli und Helmut Heine, dem KommproBier – Themen gibt es noch ohne Ende. Wir versuchen, uns in unser normales Leben zurück zu träumen – ein Leben ohne Pandemie, in dem sich auch wieder in der Realität mit Leuten treffen kann, nicht nur virtuell.
der berühmteste Toilettenfußboden der Bierwelt
Jörg hebt irgendwann den Livestream auf, lässt aber Zoom weiter laufen, so dass die, die partout kein Ende finden wollen, sich virtuell noch weiter unterhalten und ganz sachte betrinken können.
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