Tag 1: 14. April 2023
„Irgendwie hat die Welle der Craftbier-Festivals doch ihren Höhepunkt überschritten“, höre ich aus berufenem Munde und bin erstaunt. Ich sehe mich in der Marx-Halle in Wien um: Dicht gedrängt stehen die Menschen an den Bierständen, es wird fleißig verkostet, diskutiert, gefachsimpelt, gefeiert, gelacht. Neue Kontakte werden geknüpft, alte wieder aufgefrischt, Visitenkarten und Telefonnummern ausgetauscht. Man trinkt sich durch die Biere Europas und hat Spaß.
„Es ist doch toll hier“, erwidere ich, und erhalte als Antwort: „Dann schau mal etwas genauer hin!“ Der Aufforderung leiste ich natürlich gerne Folge und stürze mich ins Getümmel des Craft Bier Fests Wien.
Craft Bier Fest Wien
Seit dreieinhalb Jahren war ich nicht mehr hier. Teilweise wegen der Pandemie, später dann wegen Terminschwierigkeiten. Aber jetzt habe ich Zeit für beide Festivaltage gefunden – den 14. und den 15. April 2023.
Ein buntes Sammelsurium von rund dreißig Bierständen füllt die Marx-Halle, beziehungsweise den für das Craft Bier Fest Wien abgetrennten Teil der Halle. In der Mitte viele, viele Bierbänke und -tische, an denen man sich auch mal in Ruhe hinsetzen und vielleicht die eine oder andere Biernotiz machen kann, daneben eine Handvoll Food Trucks, und außen am Rand die zahlreichen Brauereien.
Tschechien ist dieses Jahr ganz stark vertreten. Ein halbes Dutzend Brauereien drängt sich an der Stirnseite des Hallenareals. Daneben die Slowakei, auf der anderen Seite einige Österreicher, und ansonsten ein buntes Gemisch. Rasch treffe ich die ersten bekannten Gesichter, und gemeinsam starten wir unsere fröhliche Verkostung.
Den Auftakt macht die tschechische Brauerei Sibeeria mit ihrem Vesna 2023, einem kräftig gehopften New England Pale Ale mit 5,5% Alkohol. Erfrischend, fruchtig, herb – ein schöner Start in das Festival, für das ich mir fest vorgenommen habe, es langsam und mit niedrigeren Alkoholgehalten anzugehen. Und zwischendurch immer mal wieder ein Glas Wasser zu trinken.
Thrills – Vinař – Dry Hopped Farmhouse Ale & Sibeeria – Vesna 2023 – New England Pale Ale
Ich bleibe also bei Bieren in normaler Stärke und setze fort mit einem Dry Hopped Farmhouse Ale, dem Vinař aus dem Hause Thrills. Ebenfalls aus Tschechien, aus Velké Pavlovice. 5,4% hat es, eine kräftige Hopfennote und einen angenehmen, weil durchaus zurückhaltend und harmonisch ins Bier hineinkomponierten phenolischen Akzent. Warum das Bier nun ausgerechnet Vinař heißt, also Winzer, das will sich mir nicht auf Anhieb erschließen, aber ich vergesse dann auch, am Stand zu fragen.
Die Halle hat sich mittlerweile gut gefüllt. Die Schlangen an den Bierständen werden immer länger, und es wird immer aufwändiger, sich mit dem Bier in der Hand zurück zu den Bekannten duchzukämpfen.
Ein Glas Wasser zwischendurch (die lästerlichen Bemerkungen werden mit der Antwort „das ist ein Becks Crystal“ weggewischt), und weiter geht’s. Jetzt mit dem Samurai Chicken, einem Double Dry Hopped Session IPA der Brauerei Chroust. Wir bleiben also noch eine Weile in Tschechien. Biertechnisch jedenfalls.
Samurai Chicken – der Name erzeugt eine gewisse Erwartungshaltung. Verfeinert mit Yuzu-Früchten, vielleicht. Oder mit Algenblättern, Meersalz, Soja oder was auch immer. Stattdessen: Ein „völlig normales“, kräftig gehopftes India Pale Ale mit 5,5% Alkohol. Keine wie auch immer gearteten Fehlaromen, schön balanciert. Absolut gelungen. Nur, dass die Bezeichnung nicht so wirklich mit der Sensorik harmoniert.
Drei hervorragende Biere hintereinander schon zum Start – der Festivaltag lässt sich gut an.
MadCat – Pink Boots – Double Dry Hopped IPA & Chroust – Samurai Chicken – Double Dry Hopped Session IPA
Die vierte tschechische Brauerei steht an: MadCat. Eine kleine Brauerei aus Kamenice, deren Biere ich auch schon vor dreieinhalb Jahren verkostet habe. Heute steht das Pink Boots an, ein Double Dry Hopped IPA mit 7,3% Alkohol. Eine schöne Hopfenaromatik, aber nach dem Schluck stört uns eine feine seifige Textur im Rachen und eine ganz leichte Adstringenz auf der Zunge. Ein solides Alltagsbier, das ich jederzeit wieder trinken würde, aber der sensorische Höhenflug ist nun erstmal beendet. Nach drei Spitzenbieren nun „ein ganz normales“.
Aber: MadCat hat sich Mühe gegeben und einen schönen „instagrammable“ Hintergrund aufgebaut, vor dem sich das Bier optisch sehr schön präsentiert.
Die Liste der bekannten Gesichter wird länger. Neben meinem guten Freund Dominik Ahmidou-Fend treffe ich Bernhard Roitner und Martin Rolshausen, und gemeinsam stehen wir eine ganze Weile zusammen und fachsimpeln. Und auch den ganzen Abend über treffen wir uns immer wieder.
Geht noch ein weiteres tschechisches Bier?
Na klar! Vik heißt die kleine Brauerei aus dem Prager Bezirk Hostivař – es ist der Familienname des Paares, das diese Brauerei 2020 gegründet hat. Deren British Golden Ale mit 5,4% mundet mir ganz vorzüglich – mit Fuggles und Bramling Cross ganz konservativ gehopft und dann mit einem Tupfer Mosaic verfeinert. Sehr schön!
mit Dominik Ahmidou-Fend, Bernhard Roitner, Conrad Seidl, Martin Rolshausen und Markus Trinker
Conrad Seidl und Markus Trinker stoßen für einen Moment zu uns. Spannende Gespräche, ein Kramen in gemeinsamen Erinnerungen und Pläne für neue Treffen. Die Zeit vergeht wie im Flug.
Nach einem weiteren Glas Wasser („…!“) folgt nun – endlich! – das erste österreichische Bier, ein zwei Jahre lang gelagerter Winterbock von der Sitzenberger Braumanufaktur. Die Sitzenbergers sind eine Wanderbrauerei, die diesen Bock beim Brau Schneider hergestellt hat. Ingwer, Tannentriebe, Waldhonig und „spezielle Gewürze“ wurden hinzugegeben, und das Ergebnis überzeugt: Den Alkoholgehalt von 7,9% merkt man überhaupt nicht, und die vielen Zutaten sind so balanciert, dass sie sich zu einem perfekten Ganzen ergänzen. Ganz im Hintergrund spüre ich zwar ein bisschen die Alterungsaromen der zweijährigen Lagerung, aber zu diesem Bier passen sie harmonisch dazu. Sehr schön!
Vik – Golden Ale & Sitzenberger Braumanufaktur – Winterbock
Wir laufen jetzt einmal quer durch die Halle auf die andere Seite, treffen unterwegs auf Friedrich und Britta Bruckner, die ein paar gute Empfehlungen für Biere haben, die wir unbedingt noch probieren müssen, und landen am Bevog-Stand. Hier herrscht Bombenstimmung und Gedränge, weil testosterongeschwängerte junge Männer es witzig finden, sich aus einem Porron das Bier aus großer Höhe in den Mund spritzen zu lassen. Überschäumen, Verschlucken und Kleckern inklusive.
Wir machen bei derlei Albernheiten nicht mit (obwohl wir Spaß dran haben, zuzukucken …) und genießen stattdessen das Rock Iguana Nitro Red IPA, ein 7,1%iges, mit Stickstoff gezapftes Bier. Sieht mit seiner dunkelroten Farbe und dem extrem kremigen Schaum sehr appetitlich aus, hat auch keine Geschmacksfehler, aber dennoch tun die beiden Komponenten Rotbier (kräftiges, brotiges Malz) und IPA (starke, fruchtige Hopfung) sich schwer, in Harmonie zueinander zu finden.
Getümmel vor dem Bevog-Stand
Hier im Getümmel vor dem Bevog-Stand gesellt sich Herbert Höglinger hinzu, bei dem man sich drauf verlassen kann, dass er immer der erste ist, wenn irgendwo in Österreich eine neue Brauerei aufmacht, wir treffen Jakub Martinka, den Braumeister der Salm-Bräu im wunderschönen Schloss Belvedere in Wien, und auch Kevin Reiterer, der das Festival in früheren Jahren immer organisiert hat, findet sich mit seiner Freundin ein.
Mittlerweile ist es schon spät geworden. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich jetzt noch ein Bier trinken darf, aber dann muss Schluss sein. Edit Rainsborough gibt mir den Tipp, schnell noch das Melancholia der rumänischen Brauerei Bereta zu verkosten – das Fass sei bald leer! Da auch Britta und Friedrich von diesem Bier geschwärmt hatten, bin ich überzeugt und hole es mir bei Markus Betz am Beer-Lovers-Stand ab. Ein Bourbon Barrel Aged Imperial Stout ist es, mit Kokosnuss und Pecannüssen, und mit seiner dicken, zähen Konsistenz, seiner Süße und seinen 10,8% Alkohol würde es sich nicht nur, so wie heute, als Betthupferle eignen, sondern perfekt auch als Dressing für ein schönes, kremiges Vanilleeis.
ein wuchtiges Bier und humorige Ermahnungen bezüglich seines Genusses
Ein hervorragender Abschluss des ersten Tages.
Tag 2: 15. April 2023
Der zweite Tag beginnt mit kleiner Verspätung – erst gut eine Dreiviertelstunde nach Einlassbeginn treffe ich an der Marx-Halle ein. Was immerhin den Vorteil hat, dass sich die Schlange bereits aufgelöst hat und ich ohne Wartezeit hineinkomme.
Jetzt stehe ich vor der Qual der Wahl – womit beginnen?
Ich beschließe, etwas Ungewöhnliches zu wagen und hole mir ein Bœrgée, eine Art Champagnerbier. Im Gegensatz zu am Markt etablierten Bieren dieses Stils wie der Quadriga der Inselbrauerei Rügen oder des DeuS der Brouwerij Bosteels, die ausschließlich aus Malz gebraut werden und daher echte Biere sind, ist Bœrgée ein Hybrid und mit rund 35% Traubensaft vergoren. Geschmacklich merkt man es deutlich – die Trauben dominieren die Sensorik sehr stark, der Biercharakter geht fast völlig verloren. Schade. Geschmacksfehlerfrei, aber gewiss nichts für mich … Muss ich nicht nochmal haben.
Bœrgée gibt es in zwei Versionen – klassisch wie ein Champagner in der 0,75-l-Flasche gereift, dann hat es 11,0% Alkohol, oder ohne die aufwändige Flaschenreifung in der 0,375-l-Flasche, dann auch nur mit 10,0% Alkohol. Die Nachgärung macht den Unterschied.
Bœrgée & Big Lemonski
Meine Tischnachbarn, Britta und Fritz Bruckner goutieren dieses Bier durchaus, aber ich beschließe, nach diesem für mich etwas ungewöhnlichen Auftakt mich wieder den tschechischen Bieren zuzuwenden. Generál Pivo! ist die Brauerei der Wahl, und ich genieße das Big Lemonski, ein 5.8%iges Lemongrass NEIPA. Die Lemongras-Aromen sind sehr deutlich, ohne zu dominant zu werden, und so gefällt mir das Bier durchaus, auch wenn ich beim Vervollständigen meiner Notizen feststellen muss, dass die Brauerei in Bratislava beheimatet ist, also in der Slowakei und nicht in Tschechien. Oh!
Hier beim slowakischen Bierstand treffe ich Günther Thömmes. Braumeister, Bierzauberer, Krimiautor. Immer wieder schön, sich mit ihm über seine Erlebnisse und Zukunftspläne zu unterhalten.
mit Dominik Ahmidou-Fend und Günther Thömmes
Ein paar Schritte sind es nur von der Slowakei bis nach Gallien. Allerdings nicht bis nach Frankreich, sondern nur bis zur gleichnamigen Brauerei, die ihren Namen wiederum vom kleinen Weiler Gallien im österreichischen Waldviertel hat. Das 4,8%ige Ur-Märzen sieht zwar appetitlich aus, hat aber ein so kräftiges Diacetyl-Aroma, dass es selbst mir zu viel wird. Leider hart an der Grenze zur Untrinkbarkeit. Sehr schade.
Mittlerweile hat sich auch mein guter Freund Dominik wieder dazugesellt, und gemeinsam wechseln wir diagonal durch die Halle und finden uns am Stand der Zaungast-Brauerei wieder. Deren 4,1%iges Summer Sessions, ein Double Dry Hopped Session India Pale Ale, rekalibriert meine Sensorik wieder, auch wenn ich es schade finde, dass das Bier „nur“ aus der Dose ausgeschenkt wird und nicht aus dem Fass.
Mit dem Bierglas in der Hand bummele ich durch die Halle, treffe Christian Voggenreiter, in Hausbrauerkreisen einfach nur als Vogge bekannt. Immer wieder schön, wie viele bekannte Gesichter sich hier in der Marx-Halle tummeln.
Gallien Ur-Märzen; Zaungast Summer Sessions Double Dry Hopped Session India Pale Ale; Vik Yowza!; Die Pauls Fumé Smoked Saison
Warum auch immer, aber schließlich stehe ich wieder am Stand der Familienbrauerei Vik, und treffe hier auf Conrad Seidl und auf Die Pauls, Sonja und Martin Paul, zwei sehr erfolgreiche und begabte Hausbrauer. Erst gibt es ein Yowza!, ein 7.2%iges New England IPA, aus dem Hause Vik, und danach verkosten wir zu mehreren gemeinsam eine kleine Flasche Fumé, ein Smoked Saison mit 6,9%. Ein privates Bier, eben mal schnell am Rande des Craft Bier Fests verkostet. Herrlich weich und harmonisch ist es, die Rauchnoten sind sehr schön eingebettet und ergeben mit den Phenolen der Saison-Hefe eine komplexe und dennoch gut ausbalancierte Aromatik. Sehr gelungen!
Beim weiteren Bummel durch die Halle treffe ich Florian Berger, den Geschäftsführer des österreichischen Brauereiverbands, den ich vor einigen Jahren schon in der Egger Brauerei kennengelernt hatte. Ein kurzes, aber schönes Gespräch, aber dann werde ich abgelenkt von Florian Bollen und Felix Bollen, die uns ihre großen Pläne für den Gleisgarten vorstellen. Eine ehemalige Straßenbahn-Halle soll in eine Genuss-Erlebniswelt umgebaut werden, und Teil des gastronomischen Konzepts soll auch eine eigene Brauerei sein. Die ersten Entwürfe erinnern ein bisschen an das Biererlebniszentrum von Stone Brewing in Berlin, was mittlerweile als DogTap von BrewDog übernommen worden ist. Noch im Herbst 2023 soll die Eröffnung sein. Wäre ja schön, wenn sich diese Pläne realisieren ließen.
Noch einmal geht es zurück an die Stirnwand der Halle, zu den tschechischen Brauern. Bei der Brauerei Thrills plane ich, mein letztes Bier für heute zu trinken, das Springer, ein 4,4%iges Cryo Saaz Dry Hopped Pale Ale. Kein schlechtes Bier, schön weich und harmonisch, aber in der Summe auch sehr glatt, so dass ich kaum glaube, dass es mir lange im Gedächtnis bleiben wird. Ein gutes Alltagsbier, halt.
mit Conrad, Sonja, Martin und Dominik sowie dem Springer Cryo Saaz Dry Hopped Pale Ale und dem TAP-X Cuvée Barrique 2019
Angesichts der vielen hundert Kilometer, die ich morgen fahren muss, wende ich mich langsam in Richtung Ausgang, aber mein guter Freund, der Bierpapst Conrad Seidl, „nötigt“ mich noch zu einem letzten Schluck am Budweiser-Stand von Michael Kolarik-Leingartner, der es sich natürlich nicht nehmen lässt, uns mit einem Glas eines vier Jahre alten TAP-X Cuvée Barrique 2019 zu verwöhnen. 9,5% Alkohol hat das Bier, mittlerweile hat es eine wunderbar weiche Säure entwickelt, und sein sehr komplexes Aromenprofil verwöhnt mich noch einmal zum Abschluss. Faszinierend, mit welcher Selbstverständlichkeit Michael diese Spezialität aus der Kühlschublade hervorgezaubert hat.
Schön auch, an diesem Stand Christian Schneider nach vielen Jahren einmal wieder zu treffen – es ist gut vierzehn Jahre her, dass wir ihn in seiner damaligen Gasthausbrauerei kadlez besucht haben, einer Brauerei, die seit neun Jahren auch schon wieder Geschichte ist.
Das Craft Bier Fest Wien unterstreicht damit ein weiteres Mal, dass es ein Familientreffen all derer ist, die sich der österreichischen Craftbier-Szene verbunden fühlen. So schön!
Damit hat es nun aber wirklich sein Bewenden, und ich strebe dem Ausgang zu. Voll mit schönen Eindrücken und Erinnerungen an nette Menschen und gute Biere.
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