In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es in Hamburg die Tradition, dass die fünf damaligen Hamburger Brauereien – Bavaria, Bill, Elbschloss, Holsten und Winterhuder – am Ende des Jahres gemeinsam einen Senatsbock einbrauten, der von den Ratsherren der Stadt im Januar feierlich angestochen und in einer zunächst steifen, dann aber rasch sehr ausgelassen werdenden Party auch in größeren Mengen verkostet wurde.
das Bild im Rahmen erinnert an die fünf ursprünglichen Senatsbock-Brauereien
Es werden wohl die 70er Jahre gewesen sein, die mit ihrer Konzentration auf immer weniger und immer größere Brauereien der Vielfalt ein Ende setzten und die Senatsbock-Tradition einschlafen ließen. Bis …
… 2015 diese Tradition wiederbelebt wurde.
Diesmal waren es fünf kleine Brauereien – Blockbräu, Brauhaus Joh. Albrecht, Gröninger Privatbrauerei, Kehrwieder Kreativbrauerei und Ratsherrn – die schon seit Ende 2013 an einem gemeinsamen Rezept getüftelt hatten. Die Veranstaltung war ein großer Erfolg und richtete den Fokus der Öffentlichkeit auf die zum Teil gerade erst neu entstandenen Kleinbrauereien. 2018 kamen das Wildwuchs Brauwerk, die Landgang Brauerei und die ÜberQuell Brauwerkstätten hinzu, 2022 als neunte Brauerei die Astra St. Pauli Mikrobrauerei.
Auch wenn 2021 und 2022 der Anstich wegen der Pandemie ausfallen musste, so ist es 2023 doch endlich wieder soweit: Acht Hamburger Kleinbrauereien (das Brauhaus Joh. Albrecht ist derzeit wegen Renovierungsarbeiten des Gebäudes geschlossen) haben dieses Jahr einen Senatsbock gebraut. Gegenüber der früheren Tradition, wo es ein gemeinsames Bier aller gab, wird nun lediglich bestimmt, dass es ein Doppelbock aus fünf vorgegebenen Braumalzen sein muss. Jenseits dieser Vereinbarung ist alles erlaubt, so dass acht höchst verschiedene Senatsböcke im Angebot sind.
Um 18:00 Uhr öffnen sich pünktlich die Türen zum Parlament, dem Restaurant im Keller des Hamburger Rathauses, und über 300 Gäste strömen in die weitläufigen Gewölbe. Alle acht Brauereien stehen mit jeweils einem Stand parat und bieten für die Zeit bis zum offiziellen Anstich um 19:00 Uhr spannende Biere jenseits des Senatsbocks an.
erst draußen ein wenig anstehen, und dann hinein ins Gedränge
Ein Platz ist schnell gefunden, und der Einfachheit halber hole ich mir mein erstes Bier direkt nebenan, bei der Gröninger Brauerei. Sie hat ein Fass der Hanseaten Weisse dabei, ein schönes, phenolisch-würziges Weißbier mit 5,0% Alkohol. Passt schon mal als Auftakt.
Und noch ein zweites Bier verkosten wir, bevor der offizielle Anstich stattfindet, und zwar das Glitter Gitta, ein Glitzer Golden Ale der Astra St. Pauli Mikrobrauerei. Der Glitzereffekt war vor ein paar Jahren in den USA groß in Mode, hat sich mittlerweile aber wieder totgelaufen. Da in Deutschland solche Trends immer etwas später kommen, ist das Glitzerbier heute aber sehr beliebt. Überall sehe ich die Gäste mit Kerzen, Teelichtern oder Taschenlampen in das Bier hineinleuchten, um den Glitzereffekt für das Foto sichtbar zu machen.
Überraschenderweise schmeckt das Bier sogar recht gut! 4,7% Alkohol hat es, ist schön aromatisch und vielleicht nur einen Hauch zu süß.
Hanseaten Weisse und Glitzer Golden Ale
Pünktlich um 19:00 Uhr erscheint der Moderator auf der Bühne. Wir sind zwar am anderen Ende des Parlaments, doch wird die Zeremonie über zahlreiche Bildschirme übertragen, so dass wir gut miterleben können, wie die Zweite Bürgermeisterin Hamburgs, Katharina Fegebank, mit leider viel zu vielen zaghaften Schlägen ein Fass mit dem Senatsbock ansticht. Sie setzt das riesige, frisch gezapfte Bierglas an die Lippen und stellt fest: „Für den menschlichen Verzehr geeignet!“
Das Publikum ruft lautstark den uralten Trinkspruch im Chor „Die Krüge hoch, die Kehlen weit, es ist wieder Senatsbockzeit!“, und zeitgleich werden nun an allen acht Brauereiständen die zweiten Zapfhähne weit geöffnet.
Es wurde auf dem Bildschrim übertragen: „Für den menschlichen Verzehr geeignet!“
Erneut beginne ich beim mir nächstgelegenen Stand, der Gröninger Brauerei. Der 7,6%ige Bock hat eine schöne Rauchnote und ein paar feine schokoladige Noten – gleich das erste Bier zeigt sich also schön originell. Fein!
Für den zweiten Senatsbock gehe ich nur einen Stand weiter, zur Kehrwieder Kreativbrauerei. Oliver Wesseloh hat den Bock mit einer belgischen Saisonhefe knochentrocken vergoren und den Alkoholgehalt auf immerhin 9,0% Alkohol hochgeschraubt. Aber … uns gefällt das Bier trotz seiner spannenden Aromatik nicht so sehr, weil es nach hinten raus einen deutlich spritigen Charakter bekommt und seinen Alkoholgehalt dadurch übermäßig betont. Es soll dann auch der am wenigsten begeisternde von den acht durchweg guten Senatsböcken bleiben.
Weiter geht’s. Ob der Senatsbock von Astra genauso originell ist wie das Glitzerbier? Wir machen die Probe aufs Exempel und testen diesen 7,6%igen Bock als nächstes. Gebraut wurde es mit Schwarztee und in Rum eingelegtem Eichenholz. Klingt hochinteressant, und ist es auch! Zwar merken wir vom Schwarztee nicht so viel, sondern haben das Gefühl, dass der leicht adstringierende Effekt dieses Biers eher vom Holz kommt, dafür schmecken wir aber den Rum und viele, viele Vanillearomen aus dem Holz. Ein sehr komplexes Bier, das speziell mir als großem Liebhaber von mit Holz gereiften Bieren ganz vorzüglich mundet.
Mittlerweile hat sich der Andrang am Büffet, das unmittelbar nach dem Anstich eröffnet worden war, etwas gelegt, und die Kellnerinnen und Kellner dringen nun mit ihren Tabletts durch die Menschenmengen durch – eine schöne Gelegenheit, sich das eine oder andere Fischbrötchen abzugreifen, bevor es dann zum nächsten Senatsbock übergeht. Immerhin schon zum vierten, der Senatsbock vom Wildwuchs Brauwerk markiert somit schon die Halbzeit unserer Verkostung. Mit seinen 7,0% und einem sensorischen Gesamtbild ohne Fisimatenten markiert er einen schönen, klassischen Vertreter dieses Bierstils – ein dunkler Doppelbock, wie er im Buche steht.
Mit dem fünften Senatsbock geht es runter an die Elbe, an die Landungsbrücken. Dorthin, wo seit einigen Jahren das Blockbräu entsteht. Auch das Blockbräu ist ein klassischer Doppelbock ohne stiluntypische Spielereien. 7,7% Alkohol, eine kräftige Hopfung, ein mächtiger Malzkörper. Ein Bier, das auch in Bayern problemlos für die Starkbierzeit akzeptiert würde und das in die Annalen dieses Senatsbockanstichs eingeht, weil ich es zu fotografieren vergessen habe …
sechs von acht Senatsböcken
Die Ratsherrnbrauerei, an der Sternschanze gelegen, bietet dieses Jahr ein Cuvée der Senatsböcke aus den Vorjahren an, in Brandy-Fässern gelagert. 7,5% Alkohol und eine beeindruckende Aromenfülle mit viel Vanille, Weinbrandaromen, kräftigen Früchten und einem beeindruckenden Malzkörper. Aus meiner persönlichen Sicht kämpft dieses Bier mit dem Astra-Senatsbock um die Krone des heutigen Abends.
Nicht nur bei mir machen sich erste Anzeichen von Schwäche bemerkbar, sondern bei meinem schlauen Telefon ebenfalls. Die dicken Mauern haben das Funksignal so abgeschwächt, dass das alte Telefon im verzweifelten Versuch, sich zu verbinden, den Akku leergesaugt hat. Schnell also noch die letzten beiden Senatsböcke, bevor keine Fotodokumentation mehr stattfinden kann.
Zunächst den Senatsbock von Landgang, der mit seiner kernigen Kalthopfung und den 8,0% Alkohol zwar ein hervorragendes Bier darstellt, in einer Blindverkostung aber locker als Black IPA durchgehen würde.
Und zum Abschluss kommt jetzt noch der Senatsbock von den ÜberQuell Brauwerkstätten. 7,6% Alkohol, ebenfalls kräftig kaltgehopft und ebenfalls sehr nahe dran an einem Black IPA. Im direkten Vergleich zu Landgang nicht ganz so frisch und aromatisch, aber trotzdem: Ein schönes Bier, um den heutigen Abend zu beschließen. Ohne Foto, denn der Akku hat sich inzwischen abgemeldet. Ein anonym getrunkenes Bier, gewissermaßen.
Angebot & Nachfrage
Die Jugend feiert bei lauter Musik ab, die Stimmung in Parlament ist hervorragend. Überall gut gelaunte Menschen, keine Randale, kein Krawall. Und wohin ich auch schaute: Eine vorzügliche Organisation.
Großes Lob an die Veranstalter, und wenn es sich terminlich irgendwie ausgeht: Bis nächstes Jahr, wenn es Ende Januar wieder heißt „Die Krüge hoch, die Kehlen weit, es ist wieder Senatsbockzeit!“
Senatsbockanstich 2023
Restaurant Parlament Hamburg
Rathausmarkt 1
20 095 Hamburg
Hamburg
Deutschland
Hallo Volker,
auf Deinen Bericht vom Senatsbock-Anstich habe ich schon sehnsüchtig gewartet.
Wir haben mit einwöchiger Verspätung die Verkostung zu Hause nachgeholt und waren auch vom Astra-Bock begeistert.
Hast Du irgendwie rausfinden können, welche 5 Malze im Senatsbock verwendet werden müssen???
Wir haben uns die Aufzeichnung vom Internet-Livestream angesehen und nur ein paar Infos dazu gefunden. Leider sind auch die Flaschenetiketten bei den meisten Böcken nicht sehr informativ, was die verschiedenen Malzsorten betrifft.
Herzliche Grüße aus dem Rheinland
Robert
Hallo, Robert,
nee, leider habe ich zu den verwendeten Malzsorten auch keine weiteren Informationen. Hast Du denn schon mal versucht, einen der Brauer direkt zu kontaktieren? Ich weiß nicht, ob es ein „Schweigegelübde“ zu den Malzen gibt, oder ob die Info frei herausgegeben werden kann – aber die meisten von den Brauern sind doch recht offen!
Hab‘ auf alle Fälle mal Dank für Deine netten Worte, und sorry, wenn ich Dir nicht weiterhelfen kann.
Mit bestem Gruß,
VQ
Toll geschrieben und eine schöne Erinnerung an den gelungenen Abend!
Dankeschön, Arne!
Ja, das war in der Tat ein sehr schöner Abend, gerade auch mit Euch beiden!
Mit bestem Gruß,
VQ