Mit einem einzigen beherzten Schlag treibt Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher den Hahn ins Fass, und der Senatsbock 2025 läuft in das riesige Verkostungsglas. Saubere Sache!
Die Stimmen im Publikum frotzeln: So etwas sähe man gerne einmal in München auf dem Oktoberfest, wo zwei oder gar drei Schläge schon als Sensation gelten. Aber sie übersehen dabei, dass sowohl der Schlegel als auch der Zapfhahn in Hamburg gerade Flächen aufweisen, während die Münchner einen runden Schlegel auf einen runden Hahn kloppen. Oder, alternativ, sich selbst auf den Daumen … Ist zwar im Wortsinn bekloppt, aber Tradition. Eine wunderliche allerdings, weil das mechanische Verständnis des Themas „rund auf rund“ doch eigentlich auch schon vor hundert Jahren da gewesen sein muss …
Auch hier in Hamburg beruft man sich auf Tradition, zum Glück, denn die Senatsbocktradition hatte Tschentscher gerade eben die Möglichkeit gegeben, vor dem Anstich eine schöne Rede zu halten, in der er sich nicht auf das in der soeben zu Ende gehenden Woche sehr, sehr dünne Eis der Parteipolitik begeben musste. Wer hätte aber auch gedacht, dass vor gerade mal achtundvierzig Stunden eine einst urdemokratische Partei plötzlich mit Nazis gemeinsame Sache machen würde …
Tschentscher setzt das große Glas an, nimmt einen Zug und bewertet den diesjährigen Senatsbock der Tradition folgend als „… zum menschlichen Verzehr geeignet!“
Das Publikum jubelt im Chor „Die Krüge hoch, die Kehlen weit, es ist wieder Senatsbock-Zeit!“, und Sekunden später fließen an neun verschiedenen Ständen ebenso viele verschiedene Versionen des Senatsbock 2025 in die Gläser der dürstenden Gäste.
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geduldiges Warten ist angesagt
Auch dieses Jahr hatten wir wieder lange anstehen müssen – die Schlange vor dem Hamburger Rathaus war wie immer beeindruckend, die Tickets schon lange ausverkauft. Endlich angekommen in den großen Sälen des Parlaments, des schönen Gasthauses im Rathauskeller, konnten wir uns schon an einigen Bierspezialitäten laben, denn alle Hamburger Brauereien, die im Verein Hamburger Senatsbock e.V. organisiert sind, hatten an ihren Ständen nicht nur den jeweils eigenen Senatsbock, sondern auch ein zweites Bier, und letzteres durfte schon vor dem offiziellen Anstich ausgeschenkt werden.
Aber nicht nur zum Aufwärmen, sondern auch zwischendurch empfiehlt es sich sowieso, zwischen den neun verschiedenen Böcken immer mal eines der Alternativbiere zu trinken, zum Rekalibrieren, gewissermaßen, denn ansonsten verschwimmen die Sinneseindrücke zu einer zugegebenermaßen schönen Kakophonie der Sensorik …
Mit vorsichtiger Zurückhaltung arbeiten wir uns also durch neun Böcke und bringen noch fünf weitere Spezialbiere (und ein paar Flaschen Wasser und Cola sowie einige Fischbrötchen …) auf unsere Liste.
Auf geht’s!
Den Auftakt macht, noch als Aufwärmbier, das Luden Lager der Astra St. Pauli Brauerei. Eigentlich ein „recht normales“, fünfprozentiges und schön malziges Alltagsbier, aber wer die Brauerei und insbesondere ihre Botschafterin und selbsternannte Remmidemmi-Managerin Iris kennt, weiß, dass es beim Senatsbockanstich bei Astra immer einen besonderen Twist gegen muss – dieses Jahr ist es Glitzer. Ein Glitzerbier, das im Licht von Taschenlampe oder Scheinwerfer glitzert wie Danziger Goldwasser. Witzig und lebensmitteltechnisch natürlich einwandfrei.
Ein zweites Aufwärmbier, das 5,1%ige Winterbier vom Blockbräu erweist sich allerdings als Fehlgriff. Ob da beim Zapfen was schiefgelaufen ist? Rücksprache bei anderen Biertrinkern zeigt, dass es gar nicht so schlecht gewesen sein soll, aber das, was wir hier im Glas haben, wirkt muffig, dumpf, faulig. War was im Glas oder noch im Zapfhahn? Keine Ahnung, aber da nun schon der Erste Bürgermeister in den Saal eilt, fehlen Zeit und Muße, noch einmal eine zweite Kostprobe zu holen. Sorry, Blockbräu, aber da muss die Bewertung jetzt erstmal so stehen bleiben. Was auch immer vorgefallen sein mag.
Der erste Senatsbock nach dem feierlichen Anstich ist dann der aus dem Hause Gröninger. Warum auch immer er nicht im Flyer der Veranstaltung auftaucht und ich deshalb gar nicht weiß, wieviel Alkohol er hat – er ist jedenfalls ein Klassiker. Schön rund und malzig, mit einer Sensorik, wie man sie von einem dunklen Bock in Deutschland erwartet. Gelungen!
Für unseren Senatsbock Nummer 2 geht es jetzt wieder zu Astra, und genau wie schon das Glitzerbier ist auch der Bock etwas sehr Ungewöhnliches: Ein Gewürz-Grape-Ale, also ein Bock, der zusätzlich mit Trauben vergoren und anschließend auf in Glühwein eingelegtem Rotweinfass-Holz gelagert wurde. 6,5% Alkohol und ein gewöhnungsbedürftiger Geschmack, der recht intensiv in die Glühweinrichtung geht – wer es nicht besser weiß, würde dieses Bier gar nicht als solches erkennen, sondern sich höchstens wundern, dass ein Glühwein im Glas eine Schaumkrone entwickelt …
Vom Kehrwieder-Stand, meiner nächsten Station, bringe ich uns nun gleich beide Biere mit – der lange Weg an das entgegengesetzte Ende des Saals muss sich schließlich lohnen. Zum einen gibt es hier das 5,7%ige Grünhopfenbier Frischer Traum, das jedes Jahr im Frühherbst in Kooperation mit dem Riedenburger Brauhaus entsteht und bei dem grüne Hopfendolden nur wenige Stunden nach der Ernte frisch hinzugegeben werden, und zum anderen die Beerenbock-Edition des Senatsbocks. Letztere ist 7,5% schwer und besticht mit Beeren- und Schokoladenaromen. Ob dafür Beeren hinzugegeben wurden oder ob diese fruchtigen Aromen durch die Hefe oder besondere Hopfensorten erzeugt werden, darüber schweigt sich der Flyer aus. Aber wir erfahren aus dem Text immerhin, dass die kleine Bunthaus-Brauerei mittlerweile Mitglied des Senatsbocksvereins ist und dass dieser Beerenbock in Kooperation zwischen Kehrwieder und Bunthaus entstanden ist. Schön!
Es folgt der klassische, leicht röstige und mit dezenten Mokkaaromen erfreuende, 7,3%ige Senatsbock der Blockbräu. Ein Bier ohne Spielereien, und vielleicht gerade deswegen sehr gefällig und ansprechend. Viel zu schnell ist das Glas leer. Hui, Volker, mach langsam! Es liegen noch einige Senatsböcke vor Dir. Teil Dir die Zeit und Deine Kondition gut ein!
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bonbonbunte Impressionen
Vom wildwuchs Brauwerk bringe ich mir also zunächst mal das Schlanke Lager mit, bevor ich unmittelbar im Anschluss auch deren Senatsbock probiere. Beides in kleinen Portionen. Das 4,7%ige Schlanke Lager schmeckt, wie es heißt – schlank, erfrischend, unaufdringlich. Ein sehr gut durchtrinkbares Bier, das man lästerlicherweise auch als „Spülbier“ bezeichnen könnte, hätte dies nicht eine so negative Konnotation, die das Bier gar nicht verdient hat.
Der 7,2%ige Senatsbock vom wildwuchs Brauwerk wirbt, wie alle Biere dieser Brauerei, mit Bio-Qualität. Eigentlich eine schöne Aromatik, ein bisschen Brotkruste, ein bisschen Kaffee, ein bisschen Bitterschokolade. Leider aber auch nach dem Schluck ein etwas alkalisch wirkendes, seifiges Gefühl an den Schleimhäuten. Nicht sehr stark, eigentlich noch nicht störend, aber … es ist da. Warum auch immer.
Jetzt geht es wieder ans andere Ende des Saals, zum Stand der ÜberQuell Brauwerkstätten. Unterwegs wird mir zugeraunt, dort doch unbedingt „den anderen Bock“ zu verlangen, man habe nämlich zwei verschiedene Versionen des diesjährigen Senatsbocks am Hahn.
Na, das probiere ich doch gerne einmal aus, und in der Tat: Grinsend ob meines „Insiderwissens“ schenkt mir der Barmann zwei halbe Gläser ein. Beide haben 7,5% Alkohol, beide sind mit Haselnüssen gebraut. Aber während in Glas 1 der Haselnussbock, also die „offizielle“ Version, mit einem schönen Nussgeschmack und ansonsten eher klassischen Aromen überzeugt, trumpft in Glas 2 „der andere Bock“, der zusätzlich mit Macadamia und Ahornsirup versetzt worden ist, mit einer faszinierenden, sensorischen Komplexität auf und erweist sich nicht nur in meiner Meinung, sondern auch in der vieler Umstehender als „bestes Bier des heutigen Abends“. Malz, Nüsse, Sirup, eine feine röstige Herbe, eine dezente Bittere, eine angenehme Süße – alles kombiniert sich zu einem beeindruckenden Erlebnis. Ganz großes Kino!
Was soll jetzt eigentlich noch kommen, denke ich mir insgeheim und hole mir zwei Bierproben von der Ratsherrn Brauerei. Im ersten Glas ist das Hoppy Pils, ein hopfengestopftes Bier mit 4,9%, das mit sehr angenehmen Hopfennoten überzeugt und sowohl Nase als auch Gaumen mal wieder erdet. Einmal klarspülen, bitteschön, aber mit einem wirklich vorzüglichen Durchtrinkbier! Gelungen!
Im zweiten Glas ist der Senatsbock. 7,5% Alkohol und gemäß Flyer auf einem Blend von französischem und amerikanischem Eichenholz gelagert. In eben diesem Flyer steht auch, dass „der Senatsbock 2024 Aromen von Vanille, Karamell und Mocha mit sich“ bringt. Stimmt. Schmecke und rieche ich. Aber … Moment mal! Senatsbock 2024? Ist das tatsächlich der letztjährige Senatsbock, also der, der mir letztes Jahr schon so gut gemundet hatte, dass ich ihn als bestes Bier des Abends gekürt habe? Oder ist das nur ein Tippfehler?
Ich nehme mir vor, nachher nochmal nachzufragen, und reihe ihn für heute auf Platz 2 ein, direkt hinter dem Macadamia-Ahornsirup-Bock von ÜberQuell. Die Frage bleibt aber offen, denn zu späterer Stunde, dieser Blick in die nahe Zukunft sei gestattet, werde ich vergessen haben, zu fragen …
Die Landgang-Brauerei kredenzt mir nun den vorletzten Senatsbock dieses Abends. Traditionell der stärkste von allen, nämlich mit 8,0% Alkohol, und ebenso traditionell als Cascadian Dark Ale oder auch Black IPA eingebraut, soll heißen, knackig und kernig gehopft, mit deutlichen Röstnoten und wenig Malzcharakter. Zwar basierend auf dem Grundrezept, in der erzielten Sensorik aber alles, nur kein dunkler Doppelbock. Trotzdem ein sehr schönes Bier – gerne wieder!
Auf dem Sudwerk der Landgang-Brauerei ist auch der letzte Senatsbock für heute entstanden, der Gemeinschaftssud der Hamburger Brauereien. 7,7% Alkohol, klassisch als „normaler“ Doppelbock ausgebaut – mit schönen, runden Malznoten, einer ausgeprägten Süße, feinen Noten von dunklen Früchten, ein bisschen Röstaroma und ein wenig Schokolade. Das ist der Sud, der auch in etwas größerer Menge hergestellt wird und auf Flaschen gezogen in den Verkauf gelangt. Ab morgen, dem Tag nach dem Anstich, kann man ihn bei den einschlägigen Händlern erwerben.
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überall gute Laune
Puh, nicht nur der Blick auf die Uhr, sondern auch unser inneres Wohlbefinden mahnen, sich langsam auf den Weg zu machen. Fünfzehn verkostete Biere, davon neun plus eins alkoholschwere Böcke, unzählige nette Gespräche und Begegnungen, überall gute Laune und Musik, Fischbrötchen, vegane Currywurst und immer mal wieder irgendwelche Häppchen, eine gute Organisation und eine bis hin zum leider unvermeidlichen Sicherheitspersonal sehr freundliche Atmosphäre werden mir im Gedächtnis bleiben, und ich schreibe mir schon mal den Termin für 2026 mit Bleistift in den Kalender: Wenn es wieder der letzte Freitag im Januar sein wird, dann findet der Senatsbockanstich 2026 am 30. Januar statt.
Wir sind ganz bestimmt wieder dabei!
Senatsbockanstich 2025
Restaurant Parlament Hamburg
Rathausmarkt 1
20 095 Hamburg
Hamburg
Deutschland
Schöner Text mit viel Subtext.
Dankeschön, liebe Esther!
Wie immer eine tolle Veranstaltung, auf die man sich das ganze Jahr über freut!
In diesem Sinne: Bis nächstes Jahr!
Cheers, Arne!