Nachtrag 27. August 2021: Wir schauen ins Programmheftchen der Hamburg Beer Week. Welche Station fahren wir als nächstes an?
„Bar Oorlam“, schlage ich vor, aber nach einem Blick ins Heft verzieht meine holde Ehefrau das Gesicht: „Lambic and Geuze Weekend? Du weißt doch, dass ich kein Sauerbierfan bin!“
„Ich ja auch nicht, aber erstens kennst Du diese nette kleine Bar noch nicht, und zweitens hat Nienke da auch die ganz normalen Buddelship-Biere am Hahn. Und drittens ist bei den Lambiks vielleicht doch etwas Feines dabei, das uns beiden schmeckt.“
Was für ein Glück. Sie lässt sich überzeugen. Viertel nach drei stehen wir vor der Bar und … sie ist geschlossen. Ich schlage noch mal das Programmheftchen auf. Ab 15:00 Uhr, heißt es dort.
plötzlich geht die Tür doch auf
Wir schauen uns entgeistert an, als sich plötzlich doch die Tür öffnet. „Das ist im Heft falsch abgedruckt“, begrüßt uns Nienke. „Ich mache erst um vier auf. Aber kommt ruhig rein. Ist halt noch nix vorbereitet.“
Kein Problem – da sind wir ja unkompliziert. Wir suchen uns einen kleinen Tisch weiter hinten aus, stuhlen selbst ab und machen es uns erstmal gemütlich. Simon Siemsglüss und seine Partnerin Nienke Oostra betreiben die Bar Oorlam schon seit ein paar Jahren – er zeichnet für die Biere verantwortlich, sie für Gin und Genever.
Während um uns herum die Bar zum Leben erweckt wird, schaue ich mir die Liste der heute angebotenen Lambiks und Geuzes genauer an. Fünfzehn spannende belgische Sauerbiere – fast alle berühmten Lambik-Brauereien und Geuze-Steker sind vertreten: Oud Beersel, Girardin, De Troch, Cantillon, 3 Fontainen – eine hervorragende Auswahl. Dann noch ein Kollab von Freigeist (Sebastian Sauer) und Schneeeule (Ulrike Genz) und etwas von Lost Horizon.
Was für eine Auswahl!
„Lost Horizon? Nienke, das kenne ich ja gar nicht!“
Nienke schaut mich mit großen Augen an: „Das ist unser eigenes! Buddelship Flemish Red, in spanischen Rotweinfässern ausgebaut. 2018 gebraut und ein Jahr später auf Flaschen gezogen. 7,5% Alkohol hat es.“
„Oh, das wusste ich gar nicht, dass Ihr jetzt auch in Sauerbier macht. Dann probieren wir das natürlich!“
Nienke zieht den Korken aus der Flasche und schenkt uns ein. Schon der Duft ist herrlich. Eine weiche, kremige Säure steigt uns in die Nase. Dann fließt das Bier ebenso kremig und weich über die Zunge. Keine spitze, aggressive Säure, sondern eine samtige, ohne Ecken und Kanten. So, wie man das bei einem Aceto Balsamico auch kennt. Wunderschön!
Lost Horizon – Flemish Red 2018
Schlückchenweise, nein, fast schon tröpfchenweise genießen wir das Bier, saugen jede Facette seines Aromas auf und sind und einig: Das ist einer der seltenen Fälle, dass ein Sauerbier von und fünf Sterne bekommt. Was für ein Glücksgriff!
Ein Glücksgriff, der uns nun aber in die Bredouille bringt. Nach diesem Bier möchten wir gar nichts anderes mehr probieren. Zu perfekt war dieser Moment. Und so bleiben wir zwar noch einen Moment sitzen, konsumieren aber nichts anderes mehr. Nienke, Du musst das verstehen!
Langsam beginnt sich die kleine Bar zu füllen. Ab 16:00 Uhr trudeln die Gäste ein, die die „normalen“ Öffnungszeiten kennen. Es kommt Leben in die Bude.
Also räumen wir den Platz für andere, die jetzt mehr Umsatz machen. Wir haben unser Biererlebnis gehabt, das hier und heute wohl nicht mehr zu steigern ist. Andere mögen jetzt Geld in die Kasse der Bar Oorlam spülen – wir hingegen werden mit der feinen Säure des Flemish Red 2018 auf der Zunge noch ein wenig durch die Stadt spazieren.
Bar Oorlam
Es sage noch einmal jemand, Biertrinken mache dumm. Oh, nein, Biertrinken kann sogar bilden. Zumindest, wenn man es unterwegs tut und sich als verkostender Bierreisender oder reisender Bierverkoster mal hierhin, mal dorthin treiben lässt und dann immer auch etwas aus dem Kontext lernen kann.
So stehe ich denn am 12. Oktober 2018 vor dem Haus Kohlhöfen 29 in Hamburg und lerne zwei Dinge.
Erstens: Hier hat das Ehepaar Johanna und Heinrich Floris Schopenhauer einmal gelebt, deren Sohn Arthur Schopenhauer später ein berühmter Philosoph wurde. An den habe ich auch schon ewig nicht mehr gedacht; es wäre sicherlich eine gute Idee, sich seinen Gedanken zum Thema Verstand und Vernunft einmal wieder zu widmen und vielleicht auch seine Idee vom Weltpessimismus mal wieder zu diskutieren, denn spannenderweise erweckt diese in mir immer so viel Widerspruch, dass ich danach erst recht die Schönheiten und Annehmlichkeiten des Lebens zu schätzen weiß – was natürlich ein gutes Bier in behaglicher Umgebung immer mit einschließt.
hier haben also Schopenhauers mal gewohnt
Zweitens: Früher, bis 2015, gab es hier eine uralte, originale Kneipe namens Kurze Ecke, ein Urgestein der Hamburger Kneipenlandschaft, jetzt gibt es eine Bar mit kreativen Bieren (und guten Genevers und Gins), die Bar Oorlam, deren Name mich etwas ratlos lässt.
Oorlam? Ich frage Onkel Google und bin rasch fasziniert. Es gibt einen Genever namens Oorlam. Daher könnte der Name der Bar kommen. Aber auch der Genever muss seinen Namen ja irgendwoher haben. Und da wird es dann spannend. Oorlam wurde beispielsweise der Alkohol genannt, der während langer Schiffsreisen an die Besatzung ausgeschenkt wurde und Bestandteil des Arbeitslohns, der Heuer, gewesen war. Halb Wasser, halb Gin, damit wurde eine mögliche Infektionsquelle an Bord ausgeschlossen (das Wasser war ja oft schon faulig), und gleichzeitig hielt man die Besatzung bei Laune. Oorlam war aber auch eine Bezeichnung für Bevölkerungsgruppen in Südafrika. Aber was für eine nur? Fragt man die niederländischen Quellen im Internet, so bezeichnete man damit die von Ostindien kommenden Holländer, die Orang Lama Datang – eine Bezeichnung, die sich über Orang Lama und Earlam bis zu Oorlam veränderte. Deutsche Quellen sehen das allerdings anders, denn nach diesen handelt es sich bei den Oorlam nicht um von weit her angereiste Holländer, sondern um Stämme, die sich aus Mischlingen zwischen Buren und der Urbevölkerung gebildet haben und sich Oor Landers, also Urländer nannten.
Viel Bildung für heute, und noch immer stehe ich vor dem Eingang der Bar, tippe auf meinem Telefon herum und könnte noch sooo viel lernen. Aber jetzt siegt doch der Bierdurst, und ich gehe durch die Tür.
15 Zapfhähne
Mich empfängt ein simpel, aber nicht ungemütlich eingerichteter, nicht allzu großer Barraum. Ein paar Tische nur, einige höher, einige niedriger. An der Wand entlang die Theke, dahinter eine weiße Fliesenwand, die rechter Hand ein Regal mit ein paar Dutzend Ginsorten offeriert und linker Hand fünfzehn Zapfhähne bietet. Die Biersorten sind mit bunten Eddingstiften direkt auf die Fliesen geschrieben.
Acht der fünfzehn Zapfhähne haben einen Taphandle in Form eines Hafenkrans, der eine Buddel festhält, und darunter hängt das Wappen von Simon Siemsglüss‘ Buddelship Brauerei. Klar erkennbar: Hier handelt es sich um eine Art Brauereiausschank, der aber auch Bieren von befreundeten Brauereien gegenüber aufgeschlossen ist.
Ich überlege lange, was ich trinken möchte, und der junge Mann hinter der Bar fixiert mich freundlich. „In welche Richtung soll’s denn gehen?“ fragt er, und nach kurzem Gespräch und guter Beratung lande ich beim Steelyard Pale Ale von Buddelship. Ein schönes, kräftig gehopftes Pale Ale mit 5,6% Alkohol. Kernige Hopfenaromen in der Nase, ebenso kernige, aber gleichzeitig auch angenehm fruchtige Aromen auf der Zunge. Ein schönes Bier, und auch nicht zu stark, gut geeignet, um nach einer langen Reise den ersten Durst recht schnell zu löschen.
Steelyard Pale Ale
So, jetzt kann gerne etwas Kräftigeres und noch Ausdrucksvolleres kommen, denke ich mir und wende mich wieder der bunten Beschriftung auf den weißen Fliesen zu. Erneut fragt mich der junge Mann, was es denn jetzt sein dürfe, fügt dann aber gleich hinzu: „That’ll be the last call for today, we’re closing at 10:00 pm!“
Ich schaue ihn entgeistert an. „Hier? In Hamburg? Um zehn?“
„The neighbours …“ Er zuckt mit den Achseln. „We haven’t got a full license yet …”
Na gut. Dann eben nur noch ein Bier. Dafür dann aber ein ganz besonderes! Ich entscheide mich für ein Bier der estnischen Brauerei Põhjala, für das Szechuan Banger Imperial Stout. 12,5% Alkohol hat es, und eine Spur von Szechuan Pfeffer ist mit drin, die gerade so viel Schärfe in das Bier bringt, dass es interessant wird, ohne aber auf der Zunge und im Rachen zu brennen.
Absacker in gemütlicher Atmosphäre
Der perfekte Absacker. In winzigen Schlucken genossen begleitet es mich in das Ende des Tages. Punkt 22:00 Uhr ist mein Glas alle, die Bar beginnt sich, zu leeren. Schön war’s, und die Bierauswahl beeindruckend. Ich werde mit Sicherheit einmal wieder kommen, dann aber etwas früher, um mehr als nur zwei Biere verkosten zu können.
Ach, ja, wenn es doch gerade um das Thema Verkosten geht: Spannenderweise hat, zumindest in der Zeit, wo ich jetzt hier gesessen habe, niemand einen Gin oder Genever getrunken. Ist Hamburg da noch nicht so weit?
Die Bar Oorlam ist mittwochs bis freitags von 16:00 bis 22:00 Uhr geöffnet; sonnabends und sonntags von 12:00 bis 22:00 Uhr. Montags und dienstags ist Ruhetag. Zu erreichen ist sie mit der U-Bahn-Linie 2, Station Messehallen oder Gänsemarkt, und dann etwa fünf Minuten zu Fuß zu den Kohlhöfen.
Bar Oorlam
Kohlhöfen 29
20 355 Hamburg
Hamburg
Deutschland
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