Virtuelle Brauereieröffnung orca brau
Nürnberg
DEU

[Den Live-Stream der virtuellen Brauereieröffnung habe ich am 5. Dezember 2020 leider abbrechen müssen und konnte den Videoclip erst jetzt nachschauen.]

Klein hat er angefangen, der Felix vom Endt, aber in einer großen Halle. Eine kleine, individuell konstruierte Brauanlage hat er seinerzeit, als er orca brau gründete, von Berlin nach Nürnberg gebracht und in eine riesige Industriehalle gestellt. Als ich ihn 2017 besucht habe, sah das Ganze fast ein bisschen albern aus – so viel Platz und so ein kleines Sudwerk.

Aber es war die richtige Entscheidung, zunächst in kleinem Maßstab zu brauen, sich einen Ruf aufzubauen, die Brauerei auf ein solides wirtschaftliches Fundament zu stellen und für die Zukunft trotzdem viel Platz für eine Erweiterung zu haben.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2020, ein Investor hat sich gefunden, und über den Corona-Sommer hinweg hat Felix ein schönes, großes Sudwerk und – fast noch wichtiger – reichlich große Lagertanks in die Halle stellen können. Nun ist die Brauerei fertig und mit ein paar Probesuden in Betrieb gegangen, und es wäre Zeit für ein rauschendes Fest zur Brauereieröffnung.

schon Tage vorher war ein Paket mit Bier, Schnaps,
Leckereien und einem Probierglas gekommen

Allerdings nicht unter Pandemie-Bedingungen. Was also tun? Abwarten, bis das Virus ein Brauereifest wieder erlaubt? Nein, das würde zu lange dauern, so weit reicht Felix‘ Geduld nicht. Also findet heute eine virtuelle Brauereieröffnung statt – mit Livestream im Internet und mit Menschen in ganz Deutschland (und darüber hinaus), die sich vorher ein Genusspaket haben zusenden lassen. Leckere Biere, feine Lebkuchen, Knabbermalz und sogar sauer eingelegte Würste, eine besondere fränkische Spezialität.

Die Wohnzimmer im Land sind also mit Bildschirm, Lautsprecher, Bier und Leckereien vorbereitet und warten am 5. Dezember 2020 gespannt auf den Beginn der Feier um 19:00 Uhr.

Und warten …

Warten …

wir warten …

Bis endlich mit geraumer Verspätung die Technik mitspielt und der Livestream beginnt.

Felix sitzt gemütlich auf seinem dicken Sofa, hinter ihm ein großer Flachbildschirm und linker Hand die Moderation. Auf geht’s!

Es geht los!

Nach ein bisschen Warmreden kommt das erste Bier, das „keller bier gehopft mit mandarina bavaria“ (Kleinschreibung so vom Etikett übernommen, Verkostungsnotizen – wie für alle heutigen Biere – am Ende dieses Blogbeitrags). Ein untergäriges Bier, wie Felix erzählt, und damit ganz etwas Besonderes für orca brau, denn bisher konnte er mangels effizienter Kühlmöglichkeiten nur obergärige Biere herstellen. Auch die Hop-Rocket, mit der dieses Bier jetzt besonders intensiv gehopft werden konnte, ist Bestandteil des neuen Sudhauses. Bier 2.0, nennte es Felix – der große Evolutionsschritt bei orca brau. Ein Hoch also auf die neue Technik.

Felix und Susa

Zu diesem Bier kommt Felix‘ erster Gast auf das Sofa – seine Frau Susa. Gemeinsam erzählen sie, wie sie auf die Idee gekommen sind, Bier zu brauen: Die gemeinsame Zeit in Kanada, dann der Start in Berlin, zunächst bei Sylvia Kopp in der Beer Academy, anschließend bei Heidenpeters Brauerei und schließlich der Sprung nach Nürnberg – mit Johannes Heidenpeters Brauerei im Gepäck.

Felix und Christian

Das zweite Bier, der zweite Gast. Das „wanderlust pale ale“, das Standardbier aus dem orca brau Portfolio, und Christian, der Investor. Beide erzählen, wie sie sich kennengelernt haben, von Christians Begeisterung für das „wanderlust“ und die daraus resultierende wirtschaftliche Zusammenarbeit. Aus der Phase „ich braue, um Geld für die Rohstoffe zusammen zu bekommen, und dann setze ich die Rohstoffe ein, um wieder brauen zu können“ ging es von 2019 bis 2020 dann raus: Hin zum neuen Sudwerk, zur neuen Brauerei – und wenn schon, dann gleich richtig: Ein deutsches Fabrikat, hohe Qualität. Kaspar-Schulz.

(An dieser Stelle muss ich wegen eines unvorhergesehenen Vorfalls die Teilnahme an der virtuellen Brauereieröffnung abbrechen. Wochen später finde ich die Zeit, den dazugehörigen Videoclip zu schauen und den Rest zu erleben. Alle Bilder der verkosteten Biere sind daher auch erst später entstanden.)

Felix und Max

Nach einer kurzen Pinkelpause kommt Max, Felix‘ erster Angestellter in der Brauerei, der zunächst aus lauter Kameradschaft in der Brauerei mit angefasst hat, dann angestellt wurde. Er ist ausgebildeter Brauer und damit das perfekte Gegenstück zum kreativen Autodidakten Felix. Man trinkt dazu das „anders! modern IPA“, ein Bier, dessen Hopfung und Rezeptur immer mal wieder angepasst wird und daher auch immer mal anders! schmeckt, obwohl es dieses Bier schon seit Gründung der Brauerei gibt. Beide, Felix und Max, schwärmen von der guten Zusammenarbeit, aber auch von vielen tollen Ideen und Kollaborationen mit anderen Brauern.

mit der „Action-Cam“ in der Brauerei unterwegs

Erneut eine kurze Pinkelpause, und nun geht es mit der „Action-Cam“, so kann man sein Smartphone natürlich auch nennen, los zur Brauereibesichtigung. Ein bisschen abgehackt wird der Stream – die Datenmenge der „Action-Cam“ ist wohl größer als ihre Bandbreite, aber trotzdem ist es ein interessanter und sehr detaillierter Einblick in das niegelnagelneue Sudwerk. Felix und Max verstehen es, den Brauprozess anschaulich zu schildern und immer wieder mit Anekdoten zu unterfüttern. Kurzweilig.

Nach der Brauereibesichtigung entwickelt sich eine spannende Diskussion um Haustrunk (132 Liter im Monat sind in der Oberpfalz Standard …) und alkoholfreie Biere, bevor Max dann den Platz räumt und für Fritz frei macht.

Felix und Fritz

Fritz ist Marketing- und Verkaufsspezialist und Mädchen für alles, vor allem aber ausgebildeter Koch, und arbeitet seit rund einem Monat im orca-Team. Er zeichnet für die Komposition des „winter spiced ale“ namens „es ist alles gold was glänzt“ verantwortlich, das als nächstes getrunken wird. Gemeinsam planen Felix und er live vor der Kamera ein Yuzu-Witbier, also ein Wit mit der japanischen Yuzu-Frucht statt der klassischen Orangenschale.

Auftritt des Bierschofs

Nach einer letzten Pinkelpause, die erneut für ein paar technische Anpassungen genutzt wird, erscheint in der Brauerei der Bierschof: „Das Bier ist der Weg und die Wahrheit und das Leben!“ Um seine Weihe standesgemäß zu begleiten, gibt es das „sisu“, ein Baltic Porter. Der Bierschof mischt sich ein Weihwasser aus Wasser, Malz und Hopfen und segnet zunächst das Sudwerk, dann die Tanks und schließlich den Felix – letzteren von innen mit einem Bier.

Unter vielen Dankesworten beschließt Felix damit die virtuelle Brauereieröffnung, stößt noch einmal kurz, aber ohne lange auf das Bier eingehen zu können, mit dem Barleywine Eisbock „Die 3 von der Tafelrunde“, den er zusammen mit David Hertl und Sebastian Sauer gebraut hat, an und verabschiedet sich. Ein dreistündiges kurzweiliges Programm geht zu Ende.

Ein schöner Fernsehabend. Besser kann man eine Brauereieröffnung nicht virtualisieren. Die begleitenden Biere waren spannend, die fränkischen Spezialitäten, die im Bierpaket mitgeliefert wurden (Knabbermalz, sauer eingelegte Würste und Lebkuchen, davon einer mit Chili) waren vorzüglich.

Wer nicht dabei sein konnte, kann die komplette Videoaufzeichnung unter den folgenden Links anschauen (aus technischen Gründen wurde der Stream in zwei Teile aufgeteilt):

Virtuelle Brauereieröffnung – Teil 1

Virtuelle Brauereieröffnung – Teil 2

Und hier folgen die Verkostungsnotizen zu den Begleitbieren:

keller bier gehopft mit mandarina bavaria

Gleich das erste Bier, das „keller bier gehopft mit mandarina bavaria“ zeigt erstaunlich deutlich, wie stark der subjektiv empfundene Geschmack eines Biers von der konkreten Situation und den begleitenden Speisen abhängt. Die leuchtende, orangene Farbe und der weiße Schaum darüber lassen sich noch recht objektiv beschreiben, aber schon beim Duft geht es los: Habe ich ihn während der Veranstaltung als leicht dumpf empfunden, scheint er mir zwei Tage später beim Verkosten tagsüber doch eher fruchtig zu sein. Deutliche Grapefruitnoten und vor allem ein Duft nach Mandarinenschalen – nicht nach den Früchten – herrschen heute vor. Der Antrunk ist trocken, und auf der Zunge machen sich kernige, kräftige Hopfennoten breit, die nach dem Schluck lange haften bleiben und retronasal erneut die Mandarinenschalenaromen nach vorne schieben. Alles wirkt bei der zweiten Verkostung spielerischer und leichter, während am Abend der Veranstaltung alles eher breit und schwer wirkte. Gut also, dieses 5,4%ige Bier noch ein zweites Mal bewusst verkostet zu haben.

wanderlust pale ale

Beim zweiten Bier sieht das Ganze schon anders aus. Das „wanderlust pale ale“, eines der Standardbiere von orca brau, also ganzjährig und immer im Angebot, besticht während des Livestreams genauso wie eine Woche später bei der separaten Verkostung durch spielerisch-fruchtige Aromen, leichtfüßig und ein bisschen blumig. Der folgende Antrunk ist leicht süßlich, dezent hopfig und durchaus mild, die Spundung hält sich zurück. Im Abgang kommt dann eine saubere, durchaus präsente, aber nicht aufdringliche Herbe zum Vorschein, die die Kehle exakt so trocken macht, dass das Gefühl noch nicht unangenehm wird, aber ausreicht, sofort wieder Durst auf den nächsten Schluck zu bekommen. Zusammen mit dem kräftigen Goldton, dem schönen, weißen Schaum und den zurückhaltenden 5,4% Alkohol schiebt sich das Bier auf meinem persönlichen Durchtrinkbarkeitsindex ganz nach vorne.

anders! modern IPA

„anders!“ nennt sich das nächste Bier. Es ist ein „modern IPA“ und wird von Felix als Flaggschiff IPA der Brauerei beschrieben, das immer mal wieder anders interpretiert wird. Laut Etikett ist es mit Galaxy, Mosaic und Vic Secret Hopfen gebraut und hat 6,8% Alkohol. Die Zugabe von Hafermalz gibt ihm zusätzliche Trübe und eine seidige Konsistenz. Im Glas steht es in kräftigem Dunkelgelb mit schöner, stabiler Schaumkrone. Der Duft ist intensiv fruchtig, deutlich in die zitrusartige Richtung gehend. Auf der Zunge spüre ich ganz kurz eine feine Süße an der Zungenspitze, aber dann kommt eine intensive, kernige, aber stets blitzsaubere Bittere, die sich im ganzen Mundraum und besonders nach dem Schluck im Rachen breitmacht. Heftig, deftig, aber nicht kratzig, so dass das Bier trotz aller Kontraste sehr gut zugänglich bleibt. Gerne gleich noch eine Flasche! Ach, halt, nein, die Verkostung heute ist ja noch lang …

es ist alles gold was glänzt winter spiced ale

Das Winterbier, das „winter spiced ale“ mit dem Namen „es ist alles gold was glänzt“, gefällt mir gut. Eine tiefbraune Farbe, 6,3% Alkohol und, zugegebenermaßen, etwas wenig und rasch zusammenfallender Schaum zum Auftakt. Feine, sehr dezente Gewürzaromen, so zurückhalten, dass ich zwar merke, dass da etwas besonderes drin ist, aber außer Zimt nichts identifizieren kann, sondern auf dem Etikett nachschauen muss: Neben den klassischen Zutaten Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser sind Zimt, Ingwer, Orangenschalen und Kakaobohnen hinzugegeben worden. Den Kakao kann ich dann auf der Zunge und retronasal noch identifizieren, die Orangenschalen und der Ingwer vereinen sich jedoch zu einem feinen, zitrusigen Touch, aber ohne dass ich die Komponenten geschmacklich getrennt aufspüren könnte. Im Abgang spüre ich eine leichte, etwas adstringierende Herbe, die ich dem Zimt zuschreibe, die aber nicht störend ist. In der Summe ein sehr schönes Weihnachtsbier, gerade weil mit den Gewürzen zurückhaltend umgegangen worden ist.

sisu baltic porter

„sisu“ ist ein Baltic Porter und trumpft mit üppigen 9,0% Alkohol auf. Tiefschwarz im Glas, gekrönt von leicht beigefarbenem Schaum. Im Aroma ist es … hm, moment, ich muss noch mal genau hinriechen … also, im Aroma ist es vor allem dezent. Protzen andere Baltic Porter mit kräftigen Malzaromen, gerne auch mit röstigen Noten, so ist hier fast nichts zu riechen außer einem feinen und dezenten Hauch Bitterschokolade. Wird denn der Antrunk intensiver? Oh, ja, definitiv. Weich und schokoladig fließt das Bier über die Zunge. Zur Schokoladenbittere gesellt sich eine runde Süße mit einem Hauch Mokka. Sehr angenehm. Der Schluck ist sanft und nahezu ohne Bittere, seidig läuft das Bier den Rachen hinunter und spült allenfalls erneute Schoko- und Mokkaaromen retronasal über die Sinneszellen. Ein ungewöhnlich sanftes Baltic Porter, definitiv aber auch ein sehr gutes.

Die 3 von der Tafelrunde – Barleywine Eisbock

„Die 3 von der Tafelrunde – Barleywine Eisbock“ ist ein Kollaborationssud von orca brau, Freigeist Bierkultur und Braumanufaktur Hertl, gebraut in Hagen bei der Vormann-Brauerei. Dunkelbraun ist es, hat kaum Schaum, und becirct in erster Linie mit Malz, Malz und nochmal Malz. Süßes Malz, röstiges Malz, weiches Malz im Aroma und im Geschmack. Sehr schön, auch wenn im Abgang die 11,0% Alkohol für einen Moment zu präsent werden und einen fast schon spritigen Eindruck hinterlassen, der zum Glück aber schnell verfliegt.

Bilder und Impressionen

Virtuelle Brauereieröffnung orca brau
orca brau
Am Steinacher Kreuz 24
90 427 Nürnberg
Bayern
Deutschland

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