Bierstädte der Welt … Das war mal eine Artikelserie, die ich geschrieben habe. In der kam Szczecin nicht vor. Warum eigentlich nicht, frage ich mich mittlerweile …
Nach den Bierreisen Tessin 2022 und Berlin 2023 ist dies nun schon die dritte Bierreise mit der Schweizer Sektion der Biersommeliers. Nachdem ich beim letzten Mal die Klappe nicht halten konnte und rumposaunte, dass auch Szczecin / Stettin eine tolle Bierszene habe, lag es nun an mir, diese Reise zu organisieren …
Insofern sind es für meine Leserinnen und Leser fast ausschließlich bekannte Adressen und vertraute Lokalitäten, die wir besucht haben. Was den dokumentarischen Charakter dieses Blogbeitrags jetzt nicht zum Negativen ändert, sind doch zahlreiche Links eingestreut, die trotzdem viel, viel Informationen liefern.
Übersicht der verkosteten Biere
Donnerstag, 9. Mai 2024
Wir treffen uns auf dem Rynek Sienny / Heumarkt mitten in der Altstadt. So war es zumindest beabsichtigt. Aber wer die Gruppe kennt … Natürlich sind die meisten schon ein bisschen früher da, und genauso natürlich haben die sich dann auch nicht mitten auf den Markt gestellt, sondern trinken schon mal auf einer der vielen kleinen Terrassen am Rande des großen Platzes ein Einlaufbier. Also, um genau zu sein, „ein“ Einlaufbier. Die Anführungszeichen müssen sein.
Begrüßung auf dem Rynek Sienny
Eine kurze Begrüßung, eine kleine Einweisung, und dann geht es direkt in die Familienbrauerei Wyszak. Die schöne im Ratskeller unter uralten Ziegelgewölben residierende Gasthausbrauerei hat ihr vorübergehendes Tief überwunden und begeistert uns mit wirklich hervorragendem Essen und schmackhaften Bieren. Aber ach, die junge Dame, die für unseren Tisch mit immerhin achtzehn hungrigen und durstigen Gästen zuständig ist, erweist sich als heillos überfordert. Nicht, weil sie es nicht kann, sondern weil sie auch für alle anderen Gäste im Keller verantwortlich ist und die Restaurantleitung wohl vergessen hat, dass heute in Deutschland Feiertag (Himmelfahrt) ist. Fast alle Tische sind von Tagestouristen besetzt, und das Mädel rennt sich die Lunge aus dem Leib. Respekt, dass wir nach guten zwei Stunden trotzdem alle satt und zufrieden aufstehen können.
Familienbrauerei Wyszak
Ein Stadtrundgang schließt sich an. Bei schönstem Sonnenschein erkunden wir die Jakobs-Kathedrale, bummeln durch die Gassen der Stadt und gehen runter bis an das Oderufer. Viel zu viele nicht-bierige Sehenswürdigkeiten gäbe es, mit denen man ein langes Wochenende problemlos füllen könnte.
Aber …
Es lockt natürlich unser Hauptthema, das Bier, und so tauschen wir den gleißenden Sonnenschein gegen die schummrige Beleuchtung im Český Film. Während – wie immer – vorne auf der Leinwand irgendwelche mehr oder weniger trashigen Filme gezeigt werden, lümmeln wir uns in das Kinogestühl und trinken uns systematisch durch das Angebot der zehn verschiedenen Fassbiere. Und natürlich folgen danach auch noch mehrere Spezialitäten aus der Flasche – die beiden Kühlschränke neben der Theke bieten auch heute wieder ein breites Angebot seltener, teurer und exklusiver Biere.
Český Film
Gegen zweiundzwanzig Uhr streiche ich die Segel – als Organisator kann ich es mir nicht leisten, morgen früh verkatert aufzuwachen. Aber, wie ich mitten in der Nacht feststellen werde, als ich verschlafen auf das Display meines Telefons schaue, wird der harte Kern bis zum Morgengrauen durchhalten und sich in den ersten Sonnenstrahlen einen Gute-Nacht- oder wahlweise Guten-Morgen-Kebap gönnen!
Übersicht der verkosteten Biere
Freitag, 10. Mai 2024
Wir beginnen den Tag nicht gleich mit dem ersten Bier. Nach dem Treffen am Hauptbahnhof geht es zunächst hinunter in den Stettiner Untergrund.
Was viele nicht wissen: Der Bereich vom Bahnhof bis in die Neustadt ist fast komplett unterkellert. Riesige Luftschutzbunker erstrecken sich hier weit unter die Erde, und eine Privatinitiative, nicht gefördert von Stadt oder Staat, macht die alten Bunkeranlagen zugänglich, bereitet deren Geschichte sorgfältig auf und kuratiert eine beeindruckende Ausstellung, die uns eine Gänsehaut über den Rücken jagt und uns recht bedrückt wieder ans Tageslicht kommen lässt.
Stettiner Untergrund
Vom Bahnsteig 1, an dem sich der Eingang zu den Bunkern befindet, geht es nun zum Bahnsteig 3, von wo aus der Intercity nach Stargard fährt, denn das ist unsere nächste Station.
Eine gute halbe Stunde Fahrt ist es, dann nochmal ein viertelstündiger Spaziergang, und dann stehen wir in der Browar Miejski, der Stadtbrauerei Stargard. Sławek und Oskar, die beiden Brauer, stehen schon bereit, um uns ihre Biere persönlich vorzustellen, und nach einem Begrüßungsschluck geht es erst einmal durch alle Winkel und Ecken der kleinen Brauerei. Ob Malzkeller unter dem Dach oder Gär- und Lagertanks tief im Keller – wir bekommen alle auch noch so abgelegenen und versteckten Teile der Brauerei gezeigt, und die beiden Brauer freuen sich, auch noch die abwegigste Frage geduldig beantworten zu dürfen.
Miejski Browar Stargard
Brauereibesichtigungen machen allerdings hungrig, insofern ist es jetzt an der Zeit, wieder in den oberen Schankraum zurückzukehren, die restlichen Biere der Brauerei zu verkosten und uns satt zu futtern. Und das fällt uns angesichts der Qualität der Speisen und des Services überhaupt nicht schwer.
Viel zu spät verlassen wir die Brauerei, und unter Verzicht auf einen sei es auch noch so kleinen Stadtrundgang spazieren wir zum Marktplatz, wo Artur in seiner kleinen Bar Piwnica pod Galerią schon auf uns wartet. „Wir schauen uns als erstes die Baustelle meiner kleinen Brauerei an“, schlägt er vor, und wir laufen ums Haus zur alten Offizin, in der Artur bereits die Braukessel und Gär- und Lagertanks stehen hat – allerdings noch in Folie eingewickelt und nicht angeschlossen.
Brewery in the Making
„Es dauert alles länger als gedacht“, gibt er zu, ist aber trotzdem schon stolz auf das, was er bisher alles in Eigenarbeit geleistet hat. Nicht nur Brauerei, Küche und Schankraum sollen hier entstehen, sondern auch ein paar Gästezimmer für einen kleinen Hotelbetrieb. Nicht schlecht!
Wir kehren in seine Bar zurück und gönnen uns noch ein schnelles Bier. Ich mahne zur Eile, aber ich ahne schon, was passiert: Wir verpassen den geplanten Nahverkehrszug zurück nach Szczecin … No risk, no fun, wir entern einfach den nächsten Intercity, ohne Platzreservierung, ohne Schnellzugzuschlag, und wir hoffen, dass wir auf der kurzen Etappe bis Szczecin nicht kontrolliert werden.
Klappt auch!
Blitzschnell sausen wir nun durch die Altstadt zur Browar pod Zamkiem, wo uns Arkadiusz Łangowski seine Brauerei vorstellt. Er ist der Juniorchef im Bauunternehmen seines Vaters, und in humoriger Weise erzählt er uns in fließendem Deutsch, wie die Familie mehr oder weniger zufällig den Gasthausbrauereibetrieb in das Portfolio der Baufirma aufgenommen hat.
Das kalt-warme Büffet und die Bier-Flatrate, die wir gebucht haben, tragen das Ihrige dazu bei, dass wir uns hier in den alten Kellern fast unter dem Schloss pudelwohl fühlen und – schon wieder! – viel zu lang sitzen bleiben.
Übersicht der verkosteten Biere
Sonnabend, 11. Mai 2024
Mit Bedacht habe ich den ersten Programmpunkt heute gewählt: Eine ruhige und sehr besinnliche Schiffstour über den Dąbie-See. Fast lautlos gleitet unser Partyboat zwischen Schilf, quakenden Fröschen und kleinen Inseln dahin. Hier, wo der See fast verlandet ist, führt ein Labyrinth von schmalen Kanälen durch ein einzigartiges Naturschutzgebiet. Selbst die größten Schreihälse in unserer Gruppe lassen sich von der Ruhe der Natur anstecken, und nur vom gelegentlichen Ploppen eines Kronkorkens unterbrochen, genießen wir die Stille und Beschaulichkeit.
Schiffstour über den Dąbie-See
Nach zwei Stunden Schiffstour ist es dann aber Schluss mit Stille – im Keller der Brauerei Stara Komenda werden wir zu einem hervorragenden Essen und zu spannenden Bieren mit ordentlicher Lautstärke in die Feinheiten der Bierherstellung und in die Geschichte sowohl des Gebäudes als auch des Brauereibetriebs eingewiesen. Hier steht eine Dame vor uns, die ihre Bestimmung gefunden hat: Mit spürbarer Liebe zum Bier aber ebenso auch mit einer unendlichen Begeisterung, vorne zu stehen und zu erzählen, unterhält sie uns kurzweilig und oftmals weit in die Details gehend. Dass wir während der zwei Stunden hervorragend gegessen, bestens getrunken und uns köstlich amüsiert haben, merken wir sofort. Dass wir uns aber das Sudwerk gar nicht angeschaut haben, das realisieren wir erst später, als wir schon auf unserem Spaziergang durch die Stadt sind. Haben wir vor lauter Spaß an der Freude völlig vergessen …
gar nicht gesehen … das Sudwerk!
Der Spaziergang führt die, die immer noch nicht vom Bier genug haben, in das Bierspezialitätengeschäft Elysium, wo der eine oder andere doch deutlich mehr Bier kauft, als vermutlich in sein Gepäck hineinpassen wird, und schon direkt nach dem Bezahlen wird verhandelt: „Kannst Du eventuell noch ein paar Dosen in Deinen Koffer …?“
Die, die mal was anderes wollen als immer nur Bier (doch, doch, die gibt es schon auch …), bummeln den Boulevard entlang, gehen ein Eis essen und setzen sich für einen Moment in die Sonne.
Gemeinsamer Treffpunkt ist dann am Nachmittag aber die Nowy Browar, die sich heute aber leider nicht gut präsentiert. Essen und Bier sind zwar in Ordnung, aber es sind für uns nur vierzehn statt achtzehn Plätze reserviert, und so hocken wir trotz noch schnell dazugestellter Stühle viel zu eng aufeinander, und auch das arme junge Mädel, das den Service machen soll, hat einen objektiv viiiel zu großen Bereich zugewiesen bekommen und schafft es trotz höchstem Ehrgeiz und bestem Willen nicht, uns alle zeitgerecht zu versorgen.
Nowy Browar
Ach, egal, wir lassen uns davon die Laune nicht verderben – das einzige Ärgernis ist, dass wir ein bisschen zu spät zur abschließenden Bierverkostung in das Office Pub kommen. Michał und Olaf haben hier für uns eine hochspannende Verkostung vorbereitet: Ein gutes Dutzend allerbester und wirklich sehr, sehr unterschiedlicher Bierspezialitäten aus ganz Polen wartet hier auf uns. Kleine Verkostungsgläser und reichlich Wasser zum Zwischenspülen und Neutralisieren der Geschmacksknospen stehen bereit, die Tische sind arrangiert, und schon geht es los.
Schlag auf Schlag werden die Biere kredenzt, und da Olaf zunächst ganz allein in der Bar ist und sich noch um andere Gäste kümmern muss, übernehme ich kurzerhand die Leitung der Verkostung.
Wir haben viel Spaß, aber es kommt zu einer Situation, mit der keiner von uns gerechnet hat: Fast alle in unserer Gruppe sind zu später Stunde und nach den ersten sieben oder acht extrem starken Bieren trinksatt. Sitt, wie es laut Duden-Reaktion auch genannt wird. Beim besten Willen geht kein Bier mehr hinein!
Nun, dann bleiben die verschlossenen Flaschen halt im Kühlregal, und ich werde sie in den kommenden Tagen mal abholen. Aber das ich das einmal erleben darf: Die Schweizer Sektion der Biersommeliers gibt auf und schafft es nicht, das Angebot des Tages durchzutrinken!
war wohl doch zu viel …
Lediglich ein ganz kleiner Kern von wirklich Hartgesottenen kämpft sich noch in kleinen Probierschlucken einmal durch das ganze Angebot – aber es wird von den letzten Bieren tatsächlich nur noch jeweils ein kleines Fläschchen geöffnet und geteilt …
Mit dieser wunderbaren und abwechslungsreichen Verkostung findet die Bierreise Szczecin 2024 ihr Ende. Sechseinhalb Brauereien (wenn man Arturs noch im Bau befindliche Brauerei als halbe zählt), zwei Craftbierbars, ein Craftbierspezialitätengeschäft und ein bisschen Kultur drumherum – Szczecin hat sich von seiner besten Seite präsentiert!
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