Nach Portugal reist man wegen der wunderbaren Landschaft, des herrlichen Wetters, der pittoresken Altstadt Lissabons und des guten Essens, vor allem des Rotweins. Aber nicht wegen des Biers. Wenn überhaupt, dann gibt es in kleinen, einfachen Bars am Straßenrand süßliche, spritzig-überspundete Lagerbiere, die in schlecht ausgespülte, zerkratzte Wassergläser vom Typ „Senfkristall“, wiederverwendete Senfgläser also, ausgeschenkt werden. Wenn man Pech hat, sind diese Biere auch noch überlagert und überteuert. In guten Restaurants ist es auch nicht besser, und wenn man dort überhaupt ein Bier bekommt, muss man die missbilligenden Blicke vom Nachbartisch ertragen können. Ist doch so, oder?
Na, das sollte man mittlerweile mal überdenken. Denn noch weitgehend unbemerkt vom Rest Europas hat sich hier eine kleine, aber feine Bierszene entwickelt.
Gab es bis vor wenigen Jahren eigentlich nur zwei nationale Biermarken (Super-Bock, das mit Bockbier als Stil aber überhaupt nichts zu tun hat, und Sagres), so findet man neuerdings in den Bars und Supermärkten Lissabons eine große Auswahl, eröffnen mehr und mehr kleine Gasthausbrauereien und entstehen nur wenige Schritte von der historischen Altstadt entfernt auch spannende kleine Handwerksbrauereien. Und es werden – Überraschung! – beileibe nicht nur leichte Sommerbiere gebraut, die man gegen den Durst trinken kann, sondern auch kräftige Spezialitäten: Barley Wines, Imperial Stouts, Belgian Triples oder Double IPAs mit sieben, acht oder mehr Prozent Alkohol.
Nach hunderten von Treppenstufen auf und ab durch die Altstadt begrüßt beispielsweise der kleine Duque Brewpub in einer der winzigen Gassen den müden Spaziergänger mit einem Stout Fatale. 9,0% Alkohol. Vielleicht nicht ganz das Richtige jetzt? „Och“, sagt Brauer und Barmann Pedro, „es gibt Gäste, die trinken das auch in der Sommerhitze. Aber wir bieten auch ein leichtes Saison mit Hibiskus an, das Pique Nique der befreundeten Brauerei Passarola.“
Lissabon ist offen für alles, es wird experimentiert – mit Stilen, mit Zutaten, aber auch mit Geschäftsmodellen. Im Quimera Brewpub (früher Chimera) stellte Brauer und Eigner Adam auf vier Hobbybraugeräten vom Typ Grainfather parallel insgesamt nur 80 bis 100 l Bier pro Brautag her, bezeichnet sein Experiment aber schon als gescheitert – im positiven Sinne: Er kommt mit dem Brauen nicht hinterher und produziert die stärker nachgefragten Biersorten mittlerweile auch als Gastbrauer bei Cerveja Bolina, einer Regionalbrauerei weit außerhalb der Stadt.
Die typische Gründerbrauerei, eingerichtet in irgendeiner Werkshalle im Hinterhof oder Industriegebiet findet sich auch, so zum Beispiel die Oitava Colina. Auf dem achten Hügel der Altstadt gelegen ist sie ein Alptraum für die Logistiker. Das Sudwerk musste seinerzeit zerlegt, vom Lkw auf einen kleinen Lieferwagen umgeladen und in mehreren Fuhren durch die steilen Gassen und in die enge Einfahrt zum Hinterhof gebracht werden. Viel Arbeit und Schweiß und noch mehr deftige portugiesische Flüche später wurde das erste Bier gebraut. Mittlerweile sind es bereits mehr als 1000 hl, die hier entstanden sind, und für den Winter entwirft Brauer Fernando hier einen 8,5%igen Bock mit Vanille und Kakao. Natürlich in einer 0,66-l-Flasche statt der normalen 0,33er. „Damit man auch etwas davon hat“, lacht er.
Ein bisschen weiter außerhalb im Industriegebiet des Ortsteils Marvila findet sich in einer großen Lagerhalle die Brauerei Dois Corvos, die Zwei Raben. Im Moment vielleicht die am schnellsten wachsende Brauerei der Stadt. Das Blond Ale und das Milk Stout als leichte Sommerbiere, aber auch Double IPA und Imperial Porter erfreuen sich nicht nur im Taproom großer Beliebtheit. Und als Crossover: Ein Sour IPA!
Offenheit für Neues, Mut zur Gründung und unendlicher Optimismus allerorten. Die, die nicht selber brauen möchten, versuchen es wie LisBeer oder die Cerveteca und machen eine Craftbierbar auf. Gerne ein bisschen versteckt, die Bierfans finden trotzdem dorthin.
Neuestes Ereignis: Die Oficina da Cerveja, eigentlich gedacht als Laden für Hausbrauzubehör, wurde so oft gefragt, ob die Geräte vom Typ Grainfather oder Speidel Braumeister nicht auch mal in der Praxis vorgeführt werden könnten, dass man einfach anfing, regelmäßig zu brauen. Mittlerweile ist auch ein Taproom hinzugekommen, und unter dem Namen LX Brewery ist man nun der Anlaufpunkt für alle Hardcore Bierfanatiker.
Die normale Gastronomie zieht langsam nach. Im Moules & Beer gibt es eben das: Muscheln (mindestens ein Dutzend Zubereitungsarten) und Bier (Craftbier aus ganz Portugal). Die alteingesessenen Restaurants in der Altstadt erweitern ihre Getränkekarten ebenfalls. Letzteres erfolgt mit Duldung der beiden großen Marken, mit denen die Restaurants eigentlich oft Exklusivverträge haben.
Super Bock, zu Carlsberg gehörend, hat die Zeichen der Zeit erkannt und kann die über 100 neuen Kleinstbrauereien nicht mehr ignorieren. Und so duldet man nicht nur Gastbiere, sondern produziert auch eigene Bierspezialitäten in für einen Großkonzern ungewöhnlichen Stilrichtungen und richtet ein Bierfestival aus, auf dem sich Super Bock neben Dutzenden Handwerksbrauereien präsentiert.
Lissabon startet zwar spät, dafür aber mit viel Schwung. Und mit hohem Alkoholgehalt. – gewöhnungsbedürftig in der Hitze, aber trotzdem schön.
Interessante Adressen in Lissabon:
Cerveteca Lisboa; Praça das Flores 63
Dois Corvos Cervejeira, Lda.; Rua Capitão Leitão 94
Duque Brewpub; Calçada do Duque 49-51
LisBeer; Beco do Arco Escuro 1
LX Brewery & Oficina da Cerveja; Rua Ilha Terceira 42D, Armazém 1
Moules & Beer; Rua 4 da Infantaria, nº 29D
Oitava Colina; Travessa da Pereira nº16 A, Arm. 5
Quimera Brewpub; Rua Prior do Crato 6
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