Tschechien – das Bierland schlechthin. Vermutlich mehr als nur ein Vorurteil. Bier zum Abendessen, Bier in der Mittagspause, manchmal sogar schon ein frisch gezapftes Bier zum Frühstück. Ob Mann oder Frau macht keinen Unterschied, auch die Damen (egal welchen Alters!) haben in den Bierkneipen, den Pivnice, ein Halbliterglas vor sich stehen. Bier ist ein generationsübergreifendes Getränk, das von jungen wie alten Menschen gleichermaßen genossen wird. Die Altersgrenze für Jugendliche liegt wie in Deutschland bei 16 Jahren; niemand denkt sich jedoch etwas dabei, wenn ein kleineres Kind mal den Schaum beim Papa oder der Oma probieren darf und vielleicht sogar heimlich einen kleinen Schluck nimmt. Bier ist einfach immer da, gehört überall dazu, und die Frage „Möchtest Du ein Bier?“ wird nie gestellt, denn dass die Antwort „Ja, natürlich!“ lauten wird, ist selbstverständlich.
Getrunken wird helles oder dunkles Lagerbier, das anhand seiner Stammwürze beworben und bestellt wird. Zwischen 10° und 15° bewegen sich die Biere, was ungefähr 3,8% bis 6,5% entspricht. Gelegentlich mischt sich ein Weißbier mit 12° oder 13° dazwischen.
Im Resultat stehen die Tschechen mit einem Pro-Kopf-Konsum von 135 Litern pro Jahr mit weitem Abstand vor den Österreichern mit 105 l, erst danach kommen die Deutschen mit 104 l, und es wird bei uns immer weniger.
Prag zählt mit seinen eingemeindeten Ortsteilen mittlerweile fast 40 Brauereien – Tendenz steigend. Alle acht bis zehn Wochen eröffnet in irgendeinem Stadtteil eine neue Gasthausbrauerei und bringt ihre eigenen Biere auf den Markt.
Platzhirsch und älteste unter all diesen Kleinbrauereien ist sicherlich die berühmte Touristenattraktion U Fleků. Seit 1499 wird in der Křemencova-Straße eine einzige Biersorte gebraut, ein süffiges Dunkles mit 13° Stammwürze, aber nur 4,6% Alkohol. Niedrig vergoren ist es, und daher süßlich und mild; passt hervorragend zu der hier servierten deftigen böhmischen Küche. Und obwohl U Fleků ein Massenbetrieb ist, der täglich viele tausend Touristen durchschleust, bleibt es gemütlich.
Am anderen Ende der Zeit- und der Größen-Skala finden sich originelle Neugründungen wie die Pivovar U Dobřenských in der gleichnamigen Nebenstraße. Eine winzige unscheinbare Tür in dieser Gasse, eine schmale und relativ steile Treppe, die in einen Keller hinabführt, und dort unten werden seit 2015 wunderbare Biere gebraut und ausgeschenkt. Natürlich ein paar Klassiker, ohne helles und dunkles Lager geht es in Tschechien nicht, aber daneben auch leckere Spezialitäten, die den deutschen Apologeten des Reinheitsgebots das Wasser in die Augen treiben würden: Ein Stout mit Salbei oder ein Summer Ale mit einem Hauch von Minze. Wunderbar.
Überhaupt, die Keller Prags. Ewig weit und ewig tief bilden sie ein Labyrinth unter den Altstadtgebäuden, und Brauereien wie die Novoměstský Pivovar in der Vodičkova-Straße nutzen dieses Labyrinth. Kleine und große Nebenräume, Schankstuben und Sitzecken fügen sich zusammen und bieten jedem Gast eine passende Nische, in der er oder sie sein oder ihr Bier genießen kann.
Wer lieber fernab der Touristenströme frisches Bier genießt, den zieht es in die Vororte. An den Yachthafen Prags, beispielsweise, in die Pivovar Marina, wo im alten Zollhaus des Moldauhafens tschechische Braukunst und italienische Küche aufeinandertreffen – vorzugsweise im Biergarten mit Blick auf die träge auf dem Wasser dümpelnden Boote.
Auch die Wohngebiete der Stadtteile außerhalb der Altstadt haben reizvolle Brauereien zu bieten – von außen oft unscheinbar, dafür mit inneren Werten. Die Pivovar Nad Kolčavkou, nicht weit von Schnellstraße, Eisenbahnlinie und Lärmschutzwand wartet mit mehr als einem halben Dutzend Bieren auf, von denen eines besser als das andere schmeckt. Und die Preise sind hier draußen nicht der Rede wert – die wunderbaren Biere kosten kaum mehr als ein Glas Leitungswasser. Kunststück: Touristen, die die Preise verderben könnten, gibt es hier nicht. Stattdessen Nachbarn, Freunde, Bekannte. Einheimische unter sich.
Unlängst wurde eine letzte ökologische Nische erschlossen: Mit der Loď Pivovar entstand die erste schwimmende Brauerei. An Bord eines Moldauschiffs wird gebraut. An Oberdeck steht das Sudwerk und befindet sich ein schönes Restaurant, an Unterdeck stehen die Lagerkeller und sitzen die Biertrinker, die zum Bier nichts zum Essen, sondern lieber ein zweites Bier genießen. Zwar ist das Schiff fest vertäut, aber der Blick durch die Panoramafenster auf die vorbeiziehenden Ausflugs- und Kreuzfahrtschiffe ersetzt schon fast eine eigene Reise.
Sind es die vielen Touristen, der Durst der Einheimischen, oder die Neugier der jungen Generation, dass trotz rund 40 Brauereien noch Raum bleibt für Craftbier-Bars? Das Zlý Časy, zum Beispiel. Auch wenn der Name etwas pessimistisch klingt – Schlechte Zeiten – die Auswahl der Biere ist es nicht. Bestes Craftbier aus ganz Europa in uriger Atmosphäre. Etwas kleiner und mitten im Nuttenviertel gelegen die Pivotéka Illegal Beer. Eine kleine, aber handverlesene und ständig rotierende Auswahl an besten tschechischen Craftbieren. Keine Angst: Die Strichmädchen sind freundlich, und so ist auch ein Besuch mit weiblicher Begleitung in dieser wunderbaren Bar kein Problem.
Prag. Jederzeit eine Reise wert. Gerne auch mehrmals im Jahr – es gibt jedes Mal wieder neue Brauereien zu entdecken.
Interessante Adressen in Prag:
Loď Pivovar; Štefánikův Most / Dvořákovo Nábřeží, Kotviště Číslo 19
Novoměstský Pivovar; Vodičkova 20
Pivotéka Illegal Beer; Ve Smečkách 590/16
Pivovar a Restaurace U Fleků; Křemencova 1651/11
Pivovar Marina; Jankovcova 12
Pivovar Nad Kolčavkou; Nad Kolčavkou 907/8
Pivovar U Dobřenských; U Dobřenských 3
Zlý Časy; Čestmírova 5
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