Heutzutage heißen kleine Brauereien Brauwerk oder Braumanufaktur, denn so unterstreicht man die geleistete Handarbeit. Oder man gibt sich originelle Kunstbezeichnungen wie Crafthouse, BierAlp oder ÜberQuell und gibt sich zeitgemäß und cool. National Jürgens Brauerei klingt da wie völlig aus der Zeit gefallen. Vor meinem geistigen Auge erwächst eine kathedralengroße Backsteinarchitektur, eine Bierfabrik, wie sie im Industriezeitalter des späten 19. Jahrhunderts üblich war.
Aber so war es ja eigentlich auch, vor 140 Jahren. Die großen und etablierten Brauereien Friedrich Jürgens und National Actien Bier Brauerei waren wichtige Player auf dem Braunschweiger Biermarkt und schlossen sich schließlich 1920 zur National Jürgens Brauerei zusammen. Diese wiederum ging 1977 in der Braunschweiger Feldschlösschen Brauerei auf und wurde stillgelegt. Die Produktion ihres bekanntesten Biers, des Brunswiek Alt, wurde von Feldschlösschen noch eine Weile fortgeführt, aber irgendwann auch eingestellt. Aus und vorbei.
Bis … 2017 vier junge Männer, Paul Briesemeister, Max Juraschek, Stefan Speit und Alexander Zahn, in den noch erhaltenen Mauern eine kleine Craftbrauerei eröffneten – und da sie im Besitz der Namensrechte sind, auch wieder unter dem alten Namen: National Jürgens Brauerei. Egal, wie sehr aus der Zeit gefallen das klingt. Selbst die alten Biere von damals, das Gala Hell und das Brunswieck Alt, werden wieder gebraut – auch hier liegen die Namensrechte in den Händen der vier.
Als wir am 20. November 2025 mit einer Gruppe Biersommeliers auf das alte Firmengelände einbiegen, ist unsere Neugier dementsprechend groß.
Max und Paul empfangen uns mit breitem Grinsen und drücken uns erstmal ein Willkommensbier in die Hand – ein Probierglas vom Gala Hell. Fünf Prozent Alkohol, eine leuchtend gelbe Farbe, ein schönes und rundes, höchst durchtrinkbares Bier. Nix, um den Sommelier nach außen kehren und fünf Minuten drüber referieren zu müssen, sondern was zum Wegzischen.
Neugierig spähe ich rüber zu dem winzigen Sudwerk in der Ecke der Halle. Sollen das die Braukessel sein, wo die ganzen National Jürgens Biere entstehen? Ich runzele die Stirn.
Bevor ich fragen kann, werden wir aber schon in den Lastenaufzug verfrachtet und fahren in das Tiefgeschoss, wo in einem uralten Gewölbekeller ein eingedeckter Tisch auf uns wartet. Und: Das „richtige“ Sudwerk, der größere Bruder der winzigen Anlage vom Erdgeschoss. Womit sich meine Frage erledigt hätte …

zwei Sudwerke
Paul beginnt, ein bisschen was zur Geschichte der Brauerei zu erzählen. „Tja, also unser Name scheint ja ein bisschen aus der Zeit gefallen zu sein“, fängt er an, und ich lache in mich hinein. Ob er gerade meine Gedanken gelesen hatte? „Aber wir sind eine richtige, handwerkliche Brauerei mit klassischen und modernen Bieren“, fährt er fort.
„Ihr habt das kleine Sudwerk oben gesehen, da machen wir nur ab und an mal experimentellere Sude, aber unsere eigentliche Brauerei steht hier im Keller. Zehn Hektoliter groß und ein absolutes Einzelstück. Hergestellt seinerzeit für die Brauerei Hennings in Schwerin, nach Plänen von Tim Hennings, aber von einer Firma, die noch nie vorher eine Brauerei gebaut hatte.“ Er deutet auf eine Metallplakette am Läuterbottich. „Die haben tolle Arbeit geleistet, aber nicht verstanden, was sie da zusammengeschweißt haben, denn an der Sudpfanne hängt die Plakette mit der Beschriftung Läuterbottich und umgekehrt …“
Er lacht. „Aber es ist eine toll konstruierte Anlage, und wir sind froh, dass wir sie übernehmen konnten. War ein bisschen schwierig, wir mussten sie in der Mitte trennen und wieder zusammenschweißen, denn sonst wäre sie nicht in den Lastenaufzug reingegangen.“

Pauls ganzer Stolz
Während Paul erzählt, genießen wir schon das von Max mittlerweile direkt aus dem Tank gezwickelte Südsee IPA, das uns mit schön fruchtigen Hopfenaromen und einer hohen Spundung erfrischt. Seine sieben Prozent Alkohol? Definitiv nicht spürbar!
Morgen werde wieder gebraut, erfahren wir noch, und dann dürfen wir uns an den gedeckten Tisch setzen. In edlen Verkostungsgläsern wird uns jetzt der Winterbock von National Jürgens kredenzt, aber mit dem zusätzlichen Pfiff, dass er vorher im Bourbon-Fass ausgebaut worden ist. 9,1% Alkohol vor der Fassreifung, ein bisschen mehr vermutlich danach.
Aromatisch eine Bombe! Malz, Süße, Vanille, Bourbon, Holz – eine herrliche Komposition, und vor allem: Absolut ohne Säure. Toll! Ganz, ganz toll! Und hier merken wir auch den Alkohol – ganz dezent breitet sich eine angenehme Wärme im Rachen und im Hals aus. Ganz große Kunst, das so hinzukriegen, ohne dass der Eindruck auch nur im Geringsten spritig wäre!
Die Begeisterung ist groß, und als es heißt, wir führen jetzt wieder mit dem Lastenaufzug nach oben, regt sich ein bisschen Widerstand. Gar zu gerne würden wir noch hier sitzen bleiben und in aller Ruhe das Fass mit diesem vorzüglichen Bier leeren.

frisch gezwickelt erzeugt besonderen Genuss
Aber oben warten ja noch all die anderen Biere auf uns, und Bratwürste gibt es auch noch, und so gelingt es Paul und Max, uns alle wieder an Oberdeck zu bringen.
Eine gute Stunde genießen wir hier noch die Gastfreundschaft, bevor uns unser Programm weitertreibt. Genug Zeit, die Bratwürste frisch vom Grill zu probieren und insbesondere die historische Spezialität, das 4,9%ige Brunswieck Alt, zu verkosten. Es geht noch hoch her, hier im Taproom, und wir sind uns einig: Die National Jürgens Brauerei ist definitiv einen Ausflug nach Braunschweig wert.
Der Taproom der National Jürgens Brauerei ist donnerstags und freitags von 17:00 bis 21:00 Uhr geöffnet; zu diesen Zeiten können auch Flaschen gekauft werden. Zu erreichen ist der Taproom mit der Straßenbahn, Haltestelle Hamburger Straße, und von dort aus gut zehn Minuten zu Fuß in Richtung Osten, bis zum alten Industriegelände am Rebenring.
National Jürgens Brauerei
Rebenring 31, Eingang B8
38 106 Braunschweig
Niedersachsen
Deutschland

Hinterlasse jetzt einen Kommentar