Die klassische Methode, in Madrid ein Bier zu trinken: Eine kleine, enge Bar mit ein paar Stehtischen. Das Bier (irgendein Helles aus irgendeiner Brauerei, völlig egal, aus welcher) kommt in einfachen, schmucklosen Gläsern, dazu gibt es eine Tapa, also eine winzige Kleinigkeit zum Knabbern. Es herrscht am Nachmittag schon ein ohrenbetäubender Lärm, und da alle Gäste ihre Erdnussschalen, Olivenkerne und sonstigen Müll einfach so auf den Boden werfen, steht der Gast später am Abend knöcheltief im Unrat. Tapas Bars.
Kann man toll finden. Ist es meistens auch. Man hat Spaß, lernt Menschen kennen, führt spannende (aber laute) Gespräche, und die Grenze zwischen Touristen und Einheimischen verschwimmt rasch.
Echter Biergenuss ist das allerdings nicht, eher ein nebenbei Hineingießen. Und wer etwas anderes als Fernsehbier haben wollte, war bisher auf die zwei oder drei klassischen Gasthausbrauereien angewiesen, die simple Biere in, nun ja, auch nicht gerade berauschender Qualität herstellten.
Doch Madrid ist eine Stadt im Wandel. Nicht nur, dass sie mit neuen Verkehrskonzepten und Plänen einer fast autofreien Innenstadt von sich reden macht – auch die Bierszene wandelt sich und ist wunderbar abwechslungsreich geworden. Fangen wir doch einfach mal im derzeit angesagten Szenestadtteil Lavapiés an. Lust auf die 70er Jahre? Auf quietschbuntes und psychedelisches Design? Aber gepaart mit Craftbieren aus aller Welt? In der Bar Chinaski gibt es 18 Biere vom Fass, noch viele mehr aus der Flasche, laute Musik und dichtes Gedränge – rasch beginnen die Eindrücke zu verschmelzen, die Farbflächen fangen an, sich zu drehen. Kommt der Rausch vom Alkohol, von den Farben, von der Musik?
Wer es lieber etwas ruhiger hätte, läuft ein paar hundert Meter zur Bar El Pedal. Der Name ist Programm – die winzige Bar ist mit Fahrrädern, Sätteln, Lenkern geschmückt. Barkeeper Ignacio bietet aus zwölf Taps Biere von kleinen und kleinsten spanischen Brauereien an; ab und zu hat er auch ein Bier im Angebot, das die Eigentümer der Bar mit einer anderen Brauerei gemeinsam gebraut haben. Viele Ausländer kommen nicht hierher, fast alle Gäste sind aus dem Viertel. Man sitzt an der Bar oder an winzigen Tischen auf dem Bürgersteig und lässt den Tag ausklingen. Ganz langsam. Bis tief in die Nacht hinein.
Internationaler sind die Gäste wieder in der wenige Gehminuten entfernt gelegenen Fogg Bar. Birras & Cheese steht über dem Eingang, und genau darum geht’s. Elf Zapfhähne und mindestens ein Dutzend Käsesorten ergeben weit mehr als hundert Kombinationsmöglichkeiten. Wer sich die gesamte Geschmackspalette erarbeiten möchte, hat locker eine Woche zu tun. Eine Woche, in der aber auch die Bier- und Käsesorten schon wieder durchgewechselt haben. Ach, und dann sind da ja auch noch die vielen Würste. Mission impossible?
Bevor wir Lavapiés verlassen, schauen wir noch im Bottle Shop Be Hoppy vorbei. Pepín und Christina bieten hier eine nicht beeindruckend große, aber sehr sorgfältig ausgewählte Palette von Flaschen- und Dosenbieren. Für ein Gespräch über Bier ist immer Zeit, und wenn man sich gerade so schön unterhält, dann kann man auch gleich eines der beiden Fassbiere verkosten, die für die Kunden im Angebot sind. Oder beide. Und dann sitzen bleiben und vielleicht auch noch die eine oder andere Dose oder Flasche öffnen. So macht man sich aus dem Bottle Shop eine Bierbar und bleibt einfach bis abends hier.
Aber Madrid ist mehr als nur Lavapiés. Wir fahren ein paar U-Bahn-Stationen nach Norden, kommen nach Malasaña ins Uni-Viertel. Ganz am Rande dieses Stadtteils bietet die Fábrica Maravillas auf gerade einmal 180 m² alles, was des Biertrinkers Herz begehrt. Eine Brauerei nebst Lagertanks, eine Theke mit Ausschank, ein paar Tische und Stühle. Es ist regelmäßig rappelvoll. Aber: Platz ist in der kleinsten Hütte. Und die Biere, die man hier trinken kann, sind nicht nur rar (es gibt sie nur hier und ganz selten mal in einer Spezialbierbar), sondern auch richtig gut!
Ein kurzer Spaziergang bis zur Bar The Stuyck, von der niemand so richtig weiß, wie man den Namen aussprechen soll. Eine halbrunde Theke, zwölf Taps, zwei englische Bierpumpen. Eine hervorragende Auswahl sowohl von spanischen wie auch von internationalen Bieren, nette Gäste aller Altersschichten, und wie überall in Madrid: Wenn es zu voll wird, weicht man auf den Bürgersteig vor der Straße aus.
Wo immer man in Lavapiés oder Malasaña einkehrt – statt simpler heller Biere aus anonymen Bierfabriken stößt man inzwischen fast überall auf gute, sorgfältig ausgewählte Bierspezialitäten. Den Höhepunkt der Bierkulinarik findet man aber im Zentrum, im Restaurant El Sainete. Ganz unauffällig und versteckt liegt dieses minimalistisch-modernistische Restaurant, das seine Gäste mit erlesener Küche und perfekten Bier-and-Food-Kombinationen verwöhnt. Zu jeder Speise, zu jedem einzelnen Gang wird die perfekte Bierbegleitung empfohlen, und der anspruchsvolle Feinschmecker, der doch etwas anderes als das empfohlene Bier haben möchte, darf sich gerne durch ein halbes Dutzend Biere probieren, um die perfekte Begleitung zu seinem Essen zu finden. Die Barmänner und -frauen freuen sich auf diese Herausforderung und haben Spaß an diesem kulinarischen Spiel. Günstig ist es hier allerdings nicht – die erlesenen Genüsse haben ihren Preis.
Ein bisschen außerhalb der Stadt, in San Blas, aber mit der U-Bahn gut zu erreichen, lädt das Team von Mad Brewing zur Bierverkostung ein. Deren Fábrica de Cerveza liegt versteckt am Lieferanteneingang eines Einkaufszentrums, aber wer sie gefunden hat, wird mit wunderbaren Wurstspezialitäten und rund zehn Bieren aus eigener Produktion verwöhnt. Allein schon beim Zusehen, wie die Wurstplatte vorbereitet und die Gläser gezapft werden, läuft dem Gast schon das Wasser im Mund zusammen…
So viele andere Adressen gäbe es noch abzuwandern. Die Kombination Burger und Bier im Mad Grill, mexikanische Küche und baskische Biere im SlowMex, eine Expressreise mit Bier um die Welt an 40 Zapfhähnen im Taproom, mediterrane Küche und Bier im La Tape oder Biere aus aller Welt mit den besten Oliven der Stadt im Irreale. Ob eine einwöchige Städtereise wirklich ausreicht?
Wen es nicht stört, dass Heineken unlängst die Mehrheitsanteile gekauft hat, der kann ganz zum Schluss auch mal bis in die Vororte rausfahren und sich – nach vorheriger Anmeldung – von David Castro seine Brauerei Cervezas La Cibeles zeigen lassen. Knallbunt von außen, drinnen beste Technik und grundsolide Biere an der Schwelle von der kleine Handwerks- zur mittelgroßen Regionalbrauerei.
Madrid? So viel mehr als nur Palast, Kirchen und Museen…
Interessante Adressen in Madrid:
Be Hoppy, Calle Almadén, 18
Cervezas La Cibeles S.L., Calle Petroleo, 34
Chinaski Lavapiés, Calle de la Fe, 19
El Pedal, Calle Argumosa, 33
El Sainete, Calle de Segovia, 8
Fábrica Maravillas, Calle de Valverde, 29
Fogg Bar Birras & Cheese, Calle de Moratín, 5
Irreale, Calle Manuela Malasaña, 20
La Tape, Calle de San Bernardo, 88
Mad Brewing – Fábrica de Cerveza, Calle Julián Camarillo, 19
Mad Grill, Calle de Campoamor, 13
Slow Mex, Calle de San Vicente Ferrer, 33
Taproom Madrid, Calle de Guzmán ‘el Bueno’, 52
The Stuyck Co., Calle Corredera Alta de San Pablo, 33
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