Žatec / Saaz in Böhmen: Eine Stadt, die den Hopfen lebt, die vom Hopfen lebt, die durch den Hopfen überhaupt erst lebt. Hier ist das Zentrum des tschechischen Hopfenanbaus, hier wird Hopfen seit Jahrhunderten angebaut, gehandelt und erforscht. Und natürlich verbraut. Das lockt natürlich auch die Bierliebhaber und Touristen an, und so wirbt die Stadt in ihrem eigenen Prospekt schon mit der Feststellung:
„Hopfen und Bier sind Phänomene, die die Stadt und ihre Bewohner geformt und beeinflusst haben.“
Und sie auch weiterhin formen, muss man dazu sagen, denn die kleine Stadt strebt an, von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt zu werden – bereits seit 2007 liegt eine diesbezügliche Bewerbung bei der UNESCO vor, und die Stadtväter und -mütter entwickeln Žatec konsequent weiter. Museen und Ausstellungen, große Stadtfeste, Forschungsinstitute, Brauereien, Denkmäler – stetig wächst die Anzahl der sehens- und besichtigenswerten Stätten in und rund um die schön restaurierte, historische Altstadt.
Grund genug, einmal eine Biertour hierher zu machen und in einem straffen Programm die wichtigsten Anlaufpunkte zu besuchen. Ein Jahr hat die Vorbereitung und Koordination gedauert, und am 20. September 2019 schließlich treffen sich rund ein Dutzend Bier- und Kulturliebhaber in der Stadt. Die Hotels vor Ort bieten eine sehr angenehme Atmosphäre, rasch sind die Zimmer bezogen, und dann beginnt das offizielle Programm einer kleinen Jidelna, einer simplen Arbeiterkantine, am Rand der Altstadt. Ein deftiges Gulasch mit leckeren tschechischen Knödeln und ein erstes kurzes Beschnuppern der Tourteilnehmer, die sich zum großen Teil noch nicht kennen, und dann geht es zur ersten Station, der schon seit Jahrzehnten stillgelegten Export-Brauerei Anton Dreher.
Eine eindrucksvolle Ruine, ein Industriedenkmal, das uns in seinen Bann schlägt. Uns wird das seltene Vergnügen zuteil, auch das baufällige Innere einmal inspizieren zu können. Faszinierende Eindrücke!
Von der stillgelegten Brauerei geht es zur noch aktiven, zur Žatecký Pivovar. Mehrere Eigentümerwechsel haben ihr in den vergangenen Jahren zu schaffen gemacht – nicht gerade ideale Voraussetzungen, um Jahrzehnte der sozialistischen Misswirtschaft aufzuholen und zu kompensieren, und doch ist es der Brauerei gelungen, zu überleben. Das Sudhaus beeindruckt mit viel Kupfer und schönen, bunten Fenstern, der Lagerkeller eher mit offenen Gärtanks und frisch gezwickeltem Bier eiskalt direkt aus den liegenden Eisentanks. Bier, soviel wir wollen, und dazu jede Menge interessanter Informationen über die abwechslungsreiche Geschichte der kleinen Brauerei.
Skurril ist die Geschichte unseres nächsten Anlaufpunkts, der Galerie Sladovna. Zunächst vermutete man hier die Überreste eines mittelalterlichen Krankenhauses mit einer integrierten Fronleichnamskapelle, und es vor wenigen Jahren identifizierte man das Baudenkmal als ehemalige Mälzerei. Wie Kreuzgewölbe und alte Steine doch täuschen können… Heute beherbergt das Gebäude eine zweiteilige Galerie – zum Einen eine Dauerausstellung zur Malzproduktion, zum Anderen eine regelmäßig wechselnde Ausstellung, diesen Sommer eine zum Thema der Geschichte von Blei- und Buntstiften.
Viele Jahrhunderte jünger als die mittelalterliche Mälzerei ist die im letzten Jahr erst eröffnete Brauerei Pioneer Beer. Aber nur die Brauerei ist neu, das Gebäude ist, wie die ganze Altstadt, uralt und steht unter Denkmalschutz. Beeindruckend, wie Brauer und Eigner Michal Havrda hier trotzdem Sudwerk, Gär- und Lagertanks zwischen die alten Eichenbalken gezwängt hat und nun ganz vorzügliche Biere in neuzeitlichen Stilen braut. Wir bekommen eine ausführliche Führung und dürfen wieder nach Herzenslust zwickeln…
An der faszinierenden Bieruhr entlang (wir werden sie uns morgen noch genauer ansehen) kommen wir zur Gasthausbrauerei U Orloje. Nicht so modern und experimentell wie Pioneer Beer, sondern eher klassisch-konservativ, aber nicht minder schön. Deftige Küche und süffige Biere machen uns müde und beschließen den ersten Tag.
Das Frühstück im beeindruckenden großen Ballsaal des Hotels Zlatý Lev sorgt für eine solide Grundlage, der neue Tag kann kommen. Ein kleiner Rundgang über den Wochenmarkt bei strahlend blauem Himmel stimmt uns auf neue Eindrücke ein, und pünktlich um neun Uhr begrüßt uns Josef Ježek im Hopfenforschungsinstitut Saaz, dem Chmelařský Institut Žatec. Wir bekommen einen ausführlichen Vortrag, natürlich auch in der kleinen Forschungsbrauerei, der Pokušný Pivovar, selbst hergestelltes Bier dazu und anschließend einen Rundgang durch die Forschungsbrauerei und die Labore, sehen, wie Hopfen aufbereitet und sortiert wird, und dürfen jeden, aber auch wirklich jeden Winkel des Instituts erkunden und selbst die dümmsten Fragen stellen.
Der Wissensdurst und auch der erste Bierdurst sind zunächst einmal gestillt, aber so langsam hätten wir gerne ein bisschen Hunger. Im Restaurace U Medvěda bekommen wir deftige und schmackhafte Küche in ansprechender Atmosphäre, und es hätte richtig schön sein können, wäre das angestochene Fass mit Pilsner Urquell nicht umgeschlagen gewesen, und hätte der Zapfkellner nicht völliges Unverständnis ob unserer diesbezüglichen Reklamation gezeigt.
Bei der Hopfenlager- und -handelsfirma Bohemia Hop sind die bösen Gedanken an den Barmann aber rasch wieder verflogen, und wir besichtigen die riesigen, klimatisierten Lagerhallen und die Technik zur Aufbereitung der Hopfendolden. Das größte, vollklimatisierte Hopfenlager Europas – oder gar der Welt?
Ein schöner Spaziergang führt uns einmal vom Norden bis zum Süden der Stadt, und dann stehen wir vor dem Hopfenmuseum. Eines der größten Häuser der Altstadt, in dem früher Hopfen von Hand getrocknet und gepresst wurde, präsentiert uns nun eine lehrreiche und umfassende Ausstellung der Geschichte des Hopfenanbaus. Wer nach der ausgiebigen und unterhaltsam vorgetragenen Führung nun immer noch nicht weiß, wie man vom einzelnen Hopfenfechser bis zum fertigen 45er Pellet kommt, dem ist nicht zu helfen.
Ein schnelles Zwischendurch-Bier in der Brauerei Pioneer Beer löscht den Durst, den wir bei all den Schilderungen bekommen haben, und nun geht’s erneut in die Pivovar U Orloje. Diesmal aber zunächst zur Führung durch das kleine Sudhaus und den Lagerkeller. Natürlich verbunden mit einer Bierprobe… Nicht nur wegen letzterer, sondern in erster Linie aufgrund der lebendigen Schilderungen macht die Führung einen riesigen Spaß.
Noch abwechslungsreicher (und lustiger!) ist anschließend der Rundgang durch den Hopfen- und Biertempel, den Chrám Chmele a Piva. Ein kleines Hopfenerlebniszentrum ist es, mit einem Labyrinth, einem Gruselkabinett, vielen bunten Ausstellungsstücken und viel Unterhaltung. Und mit der Möglichkeit, eine Reihe von Souvenirs zu erstehen und auch die eine oder andere eher seltene Biersorte zu kaufen.
Den Abschluss des Abends bildet erneut ein deftiges Essen in der Brauerei U Orloje.
Inzwischen ist es schon Sonntagmorgen, und das Tourprogramm Žatec liegt hinter uns. Aber die Region hat noch mehr zu bieten. Bei strahlendem Sonnenschein geht es rund zwanzig Minuten über winzige Sträßchen bis nach Stekník, wo sich die Hopfenfelder des Hopfenforschungsinstituts rund um das Schloss Stekník bis zum Horizont ziehen. Im etwas verfallenen, aber hübschen Schlösschen Stekník sehen wir uns die kleine, aber liebevoll gemachte Ausstellung über den Hopfenanbau in der Region an, und dann geht es erneut ein paar Kilometer über kleine Sträßchen bis nach Louny, der Kreisstadt. Drei Brauereien gibt es hier, die den Abschluss der Tour markieren sollen.
Die eher auf größere Produktion von neuzeitlichen Bierstilen ausgerichtete Rodinný Pivovar Zichovec v Lounech bietet in ihrem Taproom spannende Biere, und die junge Dame hinter der Theke ermöglicht uns sogar eine spontane Führung durch das Sudhaus und die Lagerkeller. Eigentlich ganz klar, dass wir auch die Gelegenheit nutzen, unsere Rucksäcke mit Flaschen zu füllen, um auch daheim noch in den Genuss der Zichovecer Biere zu kommen.
Bier zur Mittagszeit auf nüchternen Magen? Das macht hungrig, und so passt es wunderbar, dass die kleine Gasthausbrauerei Minipivovar Lounský Žejdlík klassische tschechische Hausmannskost für konkurrenzlos niedrige Preise serviert. Dazu solide Biere, die auf dem nur 200-l-großen Sudwerk entstehen, und das kleine Paradies im Alltag ist perfekt.
Dass die dritte Brauerei der Stadt, Pivo ZLoun, heute erst am Spätnachmittag öffnet und wir uns so auf einen kurzen Blick von außen auf das Gebäude beschränken müssen, trübt die hervorragenden Eindrücke, die wir in den drei Tagen der Tour durch Žatec und Umgebung mitgenommen haben, zum Glück nicht.
Ein dichtes Programm, abwechslungsreich, tiefgründig, nahr- und schmackhaft. Keine Sekunde Langeweile, und von morgens bis abends ging es um Bier, seine Herstellung und seine Kultur. Hopfen überall, frisch, getrocknet, in Pellets oder bereits fertig verbraut. Die Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft des tschechischen Hopfens – eine wunderschöne und lehrreiche Kurzreise, die so und in dieser komprimierten Form nur durch die detaillierte Erkundung und Planung durch Karsten Zinsik und die hervorragende Unterstützung durch das Touristeninformationszentrum Saaz sowie durch Barbora Glaserová und Karel Havelka vom Chrám Chmele a Piva möglich war.
Ein herzlicher Dank an alle Beteiligten!
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